Der Fluch der Halblinge
rau. »Sie starb. Und mit ihr meine Tochter. Dubh Sùil stahl mein Herz nur, um mir den Fluch ewigen Leids aufzuerlegen.«
Er wies auf sich, in seiner Stimme lag eine Bitterkeit, als habe er Giftefeu berührt. »Und da bin ich nun. Weder tot noch lebendig, ein verstümmelter und verfluchter Mensch. Ohne Familie, aber mit lückenhaften Erinnerungen!« Für einen Moment musste er innehalten, überwältigt von der Wiederauferstehung der Vergangenheit. Ein Mann ohne Herz, der dennoch litt, weil seine Erinnerungen im Gedächtnis verblieben waren und er wusste, was es für ihn bedeutete. Gnadenlose Einsamkeit und Schuld.
»Das bin ich«, fuhr er gebrochen fort. »Allem beraubt, was mir kostbar war, kam ich zu mir, als der Krieg beendet und Dubh Sùil verschwunden war.«
»So wie man annahm, dass Peredur verschwand …«
»Ich wollte sterben, in vielen späteren Schlachten, im Kampf, doch ich konnte es nicht. Du hast es selbst gerade erlebt, Fionn.«
Nun ergaben Morcants Wutausbruch und die Vorwürfe, die er Tuagh nach Gru Einzahns Befreiung gemacht hatte, einen Sinn.
Asgell stand auf, ging zu seinem Bruder und drückte seine Schulter. »Wir werden einen Weg finden«, sagte er ruhig. »Dein Leid dauert mich, deshalb will ich nicht aufgeben, und das solltest du auch nicht.«
Peredur, der Tuagh gewesen war, stieß einen trockenen Laut aus. »Sieh uns doch an, kleiner Bruder. Über tausend Jahre alt, und immer noch nicht tot. Wir sind keine Menschen mehr, und in diese Welt gehören wir auch nicht, doch uns bleibt keine Wahl. Mehr noch als nach dem Tod sehne ich mich nach endgültigem Vergessen. Doch beides ist mir nicht vergönnt.«
»Mehr noch als nach dem Tod sehne ich mich nach Freiheit«, sagte Asgell. »Doch die ist mir nicht vergönnt.«
»Wir liegen beide in Ketten. Du bist an diesen Berg gefesselt, und ich an meinen Fluch. Dubh Sùil hat ganze Arbeit geleistet.« Peredur griff nach der Hand seines Bruders und drückte sie.
»Es ist alles noch viel schlimmer geworden«, murmelte Fionn und raufte sich die Haare, die sich immer noch weigerten, bogintypisch wollig, wirr und ungeordnet um seinen Kopf zu wachsen, sondern glatt und seidig herabfielen.
Blaufrost stampfte unten an die Wendeltreppe heran. »Also, was is’n jetzt?«, polterte er. »Gibt’s endlich mal was zu essen, oder was, oder nich’? Der Windbeutel sieht schon ganz eingefall’n aus, un’ das ganze Grün blättert von ihm ab.«
»Sagt dem Dummbatz, dass der Windbeutel noch sehr wohl in der Lage is’, sein’ Hohlschädel mit Strohfeuer zu befüll’n!«, dröhnte Gru Einzahns Stimme durch die Halle.
Asgell hob die Arme und sah Peredur fragend an. »Was sind das für Leute, die du mitgebracht hast? So etwas hätten wir früher nie an unsere Tafel gelassen!«
»Vater hat früher nicht mal uns an die Tafel gelassen«, brummte der Mann ohne Herz und stand auf.
»Früher haben wir auch mit unseren Spielen den Tisch in Brand gesteckt, gesoffen, bis wir gekotzt haben, die Mägde gezwickt, die edlen Jungfräuleins mit zotigen Aufdringlichkeiten schockiert und Vaters Freunde beleidigt«, erinnerte ihn der Zauberer. »Das hatte also durchaus seinen guten Grund.«
»Das habt ihr gemacht?«, fragte Fionn verdattert. Er hätte angenommen, dass Prinzen als Geschöpfe edler Abkunft und Erziehung nur von bestem Benimm waren.
»Wir haben noch viel mehr gemacht«, antwortete Peredur. »Wir haben uns mit Elben duelliert, Krisen ausgelöst, weil wir in fremden Betten gelegen haben, gewildert, was das Zeug hielt, Gasthäuser in Schutt und Asche gelegt, Jungfräulichkeit und Gold geraubt, fremde Fischteiche geleert … ach, das könnte ganze Bände füllen.«
Asgell schlug dem völlig entgeisterten Fionn auf die Schulter. »Schlimme Burschen waren wir, der Schrecken des Reiches«, schloss er grinsend. »Man nannte uns die Unverwüstlichen , und die Wilden Prinzen .«
»Komm schon, Schwatzdrossel, der Troll frisst dir sonst den ganzen Berg auf, und der Oger alles Moos darauf.«
Fionn beeilte sich, ihnen zu folgen. »Ihr nehmt mich auf den Arm, oder?«, fragte er flehentlich.
Aber der Mann ohne Herz schüttelte den Kopf. »Wir haben eher untertrieben. Ja, Vater hatte es nicht leicht mit uns, aber wir auch nicht mit ihm. Er war ein sturer Bock, der mindestens zur Hälfte an all den Ereignissen eine Mitschuld trug und unser Leben nachhaltig vermasselte.«
»Was faselt ihr da?«, wollte Gru Einzahn wissen. »Wenn jemandes Leben vermasselt is’, dann ja wohl
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