Der Fluch der Halblinge
hinein . Obwohl Fionn immer noch nichts zu erkennen vermochte, folgte er tapfer nach … und schlüpfte durch eine schmale Öffnung in das Innere hinein, in einen Gang, der auf eine Höhle zuführte.
Jetzt kam es also darauf an, und am besten brachte er es gleich hinter sich, er konnte es nicht mehr erwarten.
»Asgell … Pellinore sagte, du habest das Buch, aus dem Magister Brychan die kopierten Seiten hatte.«
»Es gibt kein Buch«, antwortete der Zauberer, und Fionns Herzschlag setzte für einen Moment aus. Er blieb stehen.
»Was?«, flüsterte er.
Asgell schmunzelte. »Es gibt nicht das Buch, Fionn.«
»Ich verstehe nicht …«
»Das wirst du gleich.«
Und dann trat Fionn durch eine Tür, die sich weit vor ihm öffnete.
Es war eine riesige Höhle, eine Halle gewaltigen Ausmaßes, und in sie hinein war eine Bibliothek gebaut, die hundertmal so groß sein musste wie die von Meister Ian Wispermund. Wenn das überhaupt reichte. In die Felswände waren Regale eingepasst, die vom Boden bis in schwindelerregende Höhen wuchsen, zu erreichen über bewegliche Leitern, enge Wendeltreppen und Galerien. Auf dem Boden reihten sich viele Studiertische aneinander, an den Seiten standen bequeme Sofas, in der Mitte eine riesige Tafel. Erhellt wurde die Halle von einer unüberschaubaren Zahl an Öllampen in allen Größen und Kronleuchtern, deren Kerzen in Gläsern standen, die vor herabtropfendem Wachs schützten, aber auch die Leuchtkraft der Flämmchen verstärkten.
Und da waren sie. Die freien Bogins, von denen Tiw geredet hatte – es gab sie! Es mussten hundert oder sogar zweihundert sein, die beschäftigt hin- und hereilten, die Leitern hochkletterten, die Wendeltreppen erstiegen und auf den Galerien entlang gingen, die Bücher einsortierten oder herausholten, um sie anderswo hinzutransportieren, die über aufgeschlagenen Büchern brüteten, ein Nickerchen auf den Sofas hielten oder erregt diskutieren. Und überall schwirrten armlange, wie Juwelen schimmernde Drachen herum, mit dampfenden Nüstern und flatternden Hautflügeln. Sie flogen dorthin, wo die Bogins nur schwer hinreichten, unterstützten sie bei der Arbeit, stellten aber auch jede Menge Unfug an. Die Drachen kicherten und schwatzten unablässig und entzogen sich eilig jeder Bestrafung.
Asgell erklärte, dass es sich um Bücherlindwürmer handele. Und er erklärte, dass diese Bücher, die Fionn da sah, uralte Artefakte aus einer Zeit seien, die äonenlang vergangen war. Sie seien von einer Machart, die teilweise der bekannten Bindung ähnlich sei, aber aus unbekannten Materialien hergestellt und teilweise mit Schriftsätzen, die wie gestochen waren, mit klaren, harten Linien. Es gebe Abbildungen zeichnerischer Qualität, die sich sehr deutlich von der bekannten Kunst unterschieden, und teilweise zudem genau wie die Schriftzeichen gestochen scharf seien und Dinge zeigten, die sie seit langer, langer Zeit zu analysieren versuchten. Auch mit den Übersetzungen kämen sie nur sehr langsam voran, inzwischen wären ihnen zwar einzelne Passagen gelungen, doch das sei lange noch nicht genug.
Es gebe, fuhr der Zauberer vom Berge fort, Gedichte, historische Aufzeichnungen, Erzählungen, Blätter mit merkwürdigen Linien und Symbolen darauf; aber am hilfreichsten seien jene bebilderten Bände, die eine historische Geschichte erzählten.
Fionn merkte erst jetzt, dass Tränen aus seinen Augen liefen. Er ahnte, dass es bei Weitem nicht die letzten sein würden, solange er sich hier aufhielt.
»Grundgütiger, Asgell, du warst jedenfalls nicht faul«, stellte Peredur fest und klang überwältigt. »Das ist wirklich beeindruckend, kleiner Bruder.«
»Ja. Und ihr sollt auch alles erfahren, aber zunächst müsst ihr versorgt, gesäubert und neu eingekleidet werden. Lasst eure Waffen bitte hier liegen, auch sie werden gereinigt, geschärft und poliert. Ihr werdet sie in bestem Zustand zurückerhalten. Wir treffen uns dann, sobald ihr soweit seid.«
»Das wird nicht lange dauern«, sagte Fionn. »Ich will nicht mehr warten.« Ohne seinen Freund eines Blickes zu würdigen, folgte er einer Boginfrau, ungefähr im Alter seiner Mutter, die ihn mit sich nahm.
Er war abgesehen von ein paar Schrammen und blau verfärbten Prellungen nicht verletzt, aber dennoch voller Blut. Hinter der Halle gab es zahlreiche weitere Höhlen und Nischen mit privaten Kammern und Waschgelegenheiten. Das System war perfekt aufgebaut, und nirgends war es düster oder gar kühl. Die Boginfrau half
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