Der Fluch der Halblinge
Sìthbaile«, drang es von Fionns Lippen. »Dort wurde es geschaffen. Und wahrscheinlich wurde das Siegel mit einem Fluch verschlossen.«
»Im Palast wurde das Oberste Gesetz geschaffen, und das Buch hängt damit zusammen. Wir sind uns also einig.«
»Ja. Und du hast mir gestern einen ordentlichen Schrecken eingejagt!«, murrte Fionn.
»Sieh einem seit tausend Jahren Gefangenen einen kleinen Scherz nach«, bat Asgell versöhnlich.
Fionn winkte ab und grinste. Dann nahm er das Buch an sich, presste es mit geschlossenen Augen an seine Brust. Und er konnte es spüren. Die Dinge, die darin aufgezeichnet waren, wisperten und baten um Freiheit. »Ja, es ist unser Buch … und unser Fluch zugleich …«, flüsterte er. »Alles begann in Sìthbaile, und dort muss es auch enden. Ich glaube, du hast recht, nur an dem Ort, wo es geschaffen und verflucht wurde, kann es sich öffnen. Und ich werde es dorthin bringen.«
»Das musst du nicht«, sagte der Zauberer sanft. »Es ist eine große Bürde.«
»Ich weiß. Aber es kann nur ein Bogin tun, und ich gedenke ja, die Bürde loszuwerden. Und ich bin doch nicht den weiten Weg gegangen, um Tiw den ganzen Spaß zu überlassen. Der steckt gerade vermutlich sowieso in den größten Schwierigkeiten, weil das gar nicht anders möglich ist.«
»Dann werden wir die nötigen Vorbereitungen für die Abreise treffen«, sagte Peredur.
»Wenn ihr von hier aus in vier Tagen zum Meer hinunterreitet, wird euch dort ein kleines Schiff erwarten, das euch in einem Tag nach Luvhafen bringt. Von dort aus, mit schnellen Elbenpferden, solltet ihr es in zwei bis drei Tagen über die Hauptstraße nach Sìthbaile schaffen. Das wäre der schnellste Weg.«
»Ein Schiff? Oh nein«, stöhnte Fionn und spürte jetzt schon, wie er seekrank wurde.
»Es heißt Seeschwalbe .«
»Ein Elbenschiff«, sagte Morcant und lächelte zum ersten Mal wieder. »Ich habe es selbst gebaut. Meister Keith Sonnenwein hat es gekauft, wenn ich mich recht erinnere.«
»Nachdem Pellinore mir mitteilte, dass ihr unterwegs seid, habe ich Lady Kymra ersucht, ihn um Unterstützung zu bitten und es dorthin bringen zu lassen. Ohne die alte Dame wäre ich ganz schön aufgeschmissen. Jedenfalls liegt es dort vor Anker und wartet auf seine Stunde.«
»Dann brechen wir noch heute Mittag auf«, entschied Peredur.
»Nach dem Essen«, präzisierte Fionn.
Fionn nutzte die wenigen verbleibenden Stunden, um durch die Bibliothek zu schlendern, sich mit den Bogins zu unterhalten, mit den kleinen Drachen zu spielen und die Bücher staunend zu betrachten. Das versiegelte Buch hatte er in einem Rucksack verstaut, den man ihm auf seine Bitte hin gegeben hatte. Seitdem nahm er ihn nicht mehr von seinem Rücken.
Schließlich entdeckte der junge Bogin Peredur einsam auf einer Galerie stehend und gesellte sich zu ihm. »Erzähl mir von Hafren und dir«, forderte Fionn seinen Freund auf. Peredurs Miene verdüsterte sich. »Ich soll mich in meinem Schmerz suhlen?«
»Nein, du sollst in schönen Erinnerungen schwelgen, und ich will daran teilhaben.«
»Das eine liegt dem anderen sehr nah, Fionn, und es gibt bedauerlicherweise mehr Leid als Glück. Also gut.«
Der Konflikt schwelte damals bereits. Immer wieder kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Menschen und Elben, doch den offenen Krieg wagte noch keiner. Sie versuchten auf andere Weise, ihre Reiche zu erweitern.
Peredur hatte gerade die Zwanzig erreicht, und sein Vater nahm den Erbprinzen immer mehr in die Pflicht. Asgell konnte sich mit seinen magischen Künsten zumeist entziehen, aber Peredur hatte keine Wahl. Allein hatte Asgell aber keinen Spaß, und so stürzte er sich auf die Studien der Wissenschaften. Die Leute atmeten auf, als die Wilden Prinzen immer seltener durch das Land zogen.
Die Auseinandersetzungen mit den Elben allerdings nahmen zu, bis die Lage schließlich eskalierte. Der erste Krieg seit langer Zeit begann.
Der Hochkönig fiel mit dem Schwert in der Hand in der Schlacht, und Peredur blieb nichts anderes übrig, als die Krone zu übernehmen. Ohne weitere Zeremonie, mit Asgell als seinem engsten Berater an der Seite, wollte er blutige Rache für den Tod des Vaters nehmen, gleich nach den Trauerfeierlichkeiten.
Doch da geschah etwas Außergewöhnliches, das alles für immer verändern sollte. Einige Hochelben kamen kurz vor Beginn der Zeremonie mit einer weißen Fahne angeritten. Peredur gab trotz seines Schmerzes und seiner Wut Anweisung, sie passieren zu
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