Der Fluch der Halblinge
den Bann der Wahrheit aus, und die Wahrheit muss gesprochen werden.«
Er richtete den strengen Blick auf die Àrdbéana.
»Aber zuerst hätte ich gern mein Herz zurück.«
Fionn, in dem der furchtbare Verdacht bereits aufgekeimt war, blieb die Luft vor Schock weg, und allen anderen Anwesenden in der Halle auch. Die Legende des Mannes ohne Herzen, die Gespenstermär, kannten sie alle. Zu erfahren, dass er tatsächlich existierte und der König war und diesen Palast erbaut hatte, war schon schwer zu erfassen. Aber seine ungeheuerliche Anschuldigung an die hoheitsvolle, gütige Ardbéana …
»Aladís, was habt Ihr dazu zu sagen …«, setzte ein in Brokat gewandeter alter Mann, der in der Nähe des Thrones stand, schließlich zaghaft an.
»Nennt sie sich so? Nichts hat Áladís dazu zu sagen«, unterbrach Peredur. »Denn das ist nicht ihr Name, sondern der Name meiner Tochter. Sie hat ihn ihr gestohlen, entrissen – so wie mir mein Herz – und damit ihr Blendwerk vollendet!«
Fionn erinnerte sich. Peredur hatte nie den Namen seiner Tochter erwähnt, und darin lag der Grund – weil er ihr entrissen worden war. Ein weiterer grausamer Fluch, der Peredurs Tochter das Leben gekostet hatte. Áladís, Schönelbe, hatte sie also geheißen … Bitterkeit strömte heiß durch Fionns Adern. Noch immer konnte er nicht das ganze Ausmaß dessen erfassen, was seinem Freund angetan und in ein Geheimnis der Stille gezwungen worden war.
»Die ihr dort seht«, fuhr Peredur fort, »ist Ragna, die Herrin des Krieges, die Blenderin. Ihr Beiname lautet Dubh Sùil.«
Einige Soldaten wichen zurück, andere blickten verunsichert zu dem unbewegt verharrenden Hauptmann Tiarnan, den Fionn an seiner Rüstung erkannte.
Fionn blickte die Herrscherin nun zum ersten Mal direkt an, ohne die gebotene Zurückhaltung und Ehrerbietung, und durch ihr Blendwerk hindurch.
Und er sah.
Sah das schwarze Glitzern hinter dem strahlenden Blau. Sah den Abgrund darin, in dem etwas … Grausames, Grauenvolles lauerte. Alles nur Fassade, schöner Schein, aufgebaut auf dem gestohlenen Namen. Was unter dem lieblichen Trugbild lag, war immer noch schön, doch hart und streng, weiß wie Schnee und kalt wie Eis.
Fionn begriff jetzt, warum Tiw und Tuagh ihm die grausamen Prüfungen zum Beitritt der Fiandur auferlegt hatten. Er konnte sehen und ertragen. Und er hielt das Buch, das nun seines war.
Alskár war außer sich. »Und all die Jahrhunderte hindurch haben wir uns täuschen lassen, sind dem Trugbann voll und ganz erlegen, haben nie gemerkt, wie geschickt Schwarzauge uns von ihrem Hof ferngehalten hat, damit wir die Wahrheit nicht herausfinden. Wie konnte ich das nie erkennen!«
»Weil du nur Güte kennst, mein alter Freund, und Arglist nicht erkennen kannst. Weil sie über eine große Macht verfügt, welche die deine vielleicht sogar übertrifft. Und sie weiß sie zu nutzen! Die Macht liegt in ihrer Familie. Denn Ragna«, fügte Peredur an, als wäre es immer noch nicht genug, »ist die Schwester meiner Frau Hafren.«
*
Zwei Schwestern waren einst mit vielen anderen Elben an der Ostküste Albalons mit einem großen grauen Schiff angelandet: die düstere Ragna und die helle Hafren. Ragna, welche die Menschen hasste und der Ansicht war, dass Albalon den Elben gehören sollte, und Hafren, welche alle Völker liebte und der Ansicht war, dass genug Platz da war, gemeinsam in Frieden zu leben.
Ragna musste es dulden, dass Hafren mit einem Friedensangebot aufbrach, das sie dem jungen Hochkönig der Menschen unterbreiten wollte, denn der gesamte Rat war dafür gewesen, allen voran Alskár.
Ragna begleitete die Schwester jedoch, um alles im Auge zu behalten und misstrauisch darauf zu achten, ob die Menschen etwa einen Hinterhalt planten. Hafren war zu gut, zu harmlos, zu vertrauensselig; sie vermutete niemals Böses, in keinem.
Aber da geschah es, dass sich bei der ersten Begegnung nicht nur Hafren in den stolzen Menschenkönig verliebte, sondern auch Ragna.
Und Ragna warb um den Mann, versuchte, ihm deutlich zu machen, dass ihn mit Hafren keine Zukunft erwartete, denn Gewässer sind unstet und immer nur in Bewegung, niemals verweilend, heute hier und morgen da. Ragna umschmeichelte Peredur, welche Vorteile er von einer Verbindung mit ihr habe, und welche Nachteile von einer Verbindung mit Hafren.
Doch Peredur lehnte sie ab, wies sie in ihre Schranken und sprach von seiner ausschließlichen Liebe zu Hafren.
Und Ragna sann auf Rache.
Jahre später, als sie
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