Der Fluch der Halblinge
mich nicht einfach verbergen. Und mich zu stellen wäre dumm, nicht wahr? Vielleicht … vielleicht kann ich dir ja doch bei deiner Suche helfen. Und wenn nicht, dann bring mich wenigstens zur nächsten Stadt, und von dort aus mache ich mich dann allein auf die Suche. Ich werde unterwegs sehr gut aufpassen. Bis dahin habe ich bestimmt gelernt, mich draußen zurechtzufinden. Und ich bin aus der größten Gefahrenzone raus. Dann bist du mich los. Wäre das wenigstens ein … ein annehmbarer Kompromiss?«
Tuagh lehnte sich zurück, fuhr durch seine grauen Haare, legte die Stirn in grüblerische Falten. Ihm war deutlich anzusehen, dass es in ihm arbeitete. Einerseits hatte er ganz offenbar ein zu gutes Herz, um sich nicht einem hilflosen Bogin, der ihm aus Versehen das Leben gerettet hatte, verpflichtet zu fühlen. Andererseits wollte er diese Verantwortung als ewig Umherziehender nicht, ihm lag daran, so viel Abstand wie möglich zu allem zu halten, was ihm zu nahe kommen könnte, was seine Gefühle beanspruchen könnte. Deswegen war er ein Wanderkrieger, heute hier, morgen dort, wie er gesagt hatte.
Fionn konnte das gut nachvollziehen, und er schämte sich auch, diesem Fremden zur Last zu fallen. Doch hier musste die Vernunft über allem stehen. Ohne Hilfe konnte er es nicht schaffen, und mit einem Mann wie Tuagh hätte er es nicht besser treffen können. Irgendwie würde Fionn einen Weg finden, Tuagh dafür zu entschädigen, und ihm nichts schuldig bleiben. Später. Aber zuerst musste der sich überreden lassen!
Schließlich seufzte der Wanderkrieger. »Also gut. Bis zur nächsten Stadt nehme ich dich mit.«
Fionns Herz machte einen Sprung vor Freude, und er fühlte sich unendlich erleichtert, auch wenn er gleichzeitig voller Schrecken begriff, was das bedeutete – endgültig auf die Reise ins Unbekannte zu gehen! »Du wirst es nicht bereuen, ich bin ein sehr –«
»Mir genügt es, wenn du nicht zu viel redest und mit mir Schritt hältst.«
»Du bist nicht zu Pferde unterwegs?« Fionn war augenblicklich froh darüber; die Begegnung mit diesen Ungetümen an der Tränke hatte ihm schon genügt.
»Derzeit nicht, nein. Du wirst deine Füße bemühen müssen.«
»Sie sind groß genug, mich tragen zu können. Und die Stiefel passen sehr gut.« Fionn tastete an den Gürtel, in dem sein Messer steckte. Er hatte es bereits eingesteckt gehabt, bevor er fliehen musste. Das Einzige, was ihm geblieben war. Nachdenklich zog er es und drehte es in Händen. Der Griff aus Hirschhorn war schon blank poliert und schmiegte sich geradezu in die Hand. Die einseitige Schneide war so scharf, dass sie ein Haar zerschneiden konnte, das Metall war durch seine besondere Herstellung gemasert. Feine Ziselierungen befanden sich darauf, die sich bei keinem Boginmesser wiederholten.
»Ihr nennt es Urram, nicht wahr?«, fragte Tuagh.
Fionn nickte. »Er wird geschmiedet, wenn der Monat der Geburt anbricht. Die Pflicht des Herrn oder der Herrin ist es, den Urram traditionell herstellen zu lassen. Damit gehört das Neugeborene dann der Gemeinschaft an.«
Der Wanderkrieger hob eine Braue. »Ich verstehe allmählich, weshalb du am Sklavendasein nichts auszusetzen hast. Es ist anders als jede Sklavenhaltung, die ich sonst kenne. Ihr Bogins seid Sklaven in dem Sinne, dass ihr rechtlos seid. Ihr dürft das Haus eurer Herrschaft so gut wie nie verlassen und nichts allein entscheiden. Ebenso wenig dürft ihr, abgesehen von dem Urram, eigenen Besitz haben. Aber ihr lebt verwöhnter und gediegener als viele Freie. Als ich, um genau zu sein, und jeder andere, den ich kenne.«
»So will es das Oberste Gesetz.«
»Warum ist die Àrdbéana so sehr auf euren Schutz aus?«
»Weshalb wurde er aufgehoben?«
Tuagh nickte und erhob sich. »Viele Fragen, die wir uns auch unterwegs stellen können. Pack zusammen, wir müssen los.«
»Ich habe nichts, nur den Urram.«
»Und das ist nicht das Schlechteste. Hat Bethana dir denn keine Jacke gegeben?«
Fionn errötete. »Doch, jetzt, wo du es sagst – eine gut gefütterte, und einen Kurzumhang mit Kapuze. Ich bin sehr gut ausgerüstet … wie kann ich ihr jemals danken?«
»Das geht schon in Ordnung, Fionn. Eines Tages wirst du Gelegenheit dazu haben.«
Und damit brachen sie auf.
*
Sie hatten nicht gewusst, dass es ein Verlies unter dem Palast gab, und dass es so groß wäre. Davon hatte ihnen Onkelchen Fasin, der Älteste der Alten, nie etwas erzählt. Gewiss, die Àrdbéana galt als die höchste
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