Der Fluch der Halblinge
konnte, sprang er hastig aus dem Bett. Zumindest in seiner Vorstellung, in Wirklichkeit jedoch schaffte er nur eine kurze Bewegung, nicht viel mehr als ein Zucken, und stöhnte auf. Sein ganzer Körper war ein einziger Schmerz, der ganz bestimmt nie wieder verging. In der Ferne hörte Fionn Ridireans Posaune; vermutlich war es Schlag Neun, wenn nicht Zehn. So lange hatte er noch nie geschlafen, aber er hatte viele Gründe dafür, und kein einziger davon war gut.
Schließlich schaffte er es, sich hochzuquälen. Er wusch sich und zog dann die bereitgelegte Kleidung an, die sogar ein bisschen der eines Bogins entsprach. Die Stiefel waren so gut getragen, dass sie passten, und die Füße hatten sich soweit erholt, dass sie sich wohl darin fühlten. Je mehr er sich bewegte, desto schneller vergingen die Schmerzen, und er fühlte sich einigermaßen munter, als er das Zimmer verließ.
Scheu ging er den Gang entlang; er konnte sich wegen seiner Müdigkeit in der vergangenen Nacht kaum mehr an das verwinkelte Haus erinnern, oder vielmehr an diesen abgeschlossenen Bereich des Hauses, in dem offenbar mehrere Familien lebten. Etwas, das er gar nicht kannte; das Anwesen seines Herrn war sehr viel größer, doch er lebte allein darin, versorgt von seinen Sklaven.
Fionn fand den Familienraum jedoch problemlos, denn er musste nur dem Duft nach frischem Tee und Brot nachgehen. Der Raum war klein und mit hellem Holz ausgestattet, verfügte über eine Herdstelle, die mit Holzkohle betrieben wurde, eine Anrichte, Tisch und Stühle sowie Küchenutensilien, die zusammen mit getrockneten Kräuterbündeln überall herumhingen. Draußen schien weiterhin schönes Wetter zu herrschen, es leuchtete so hell herein, dass der Raum warm erstrahlte. Das einzige Fenster ging nach hinten zum Innenhof, sodass von der Straße so gut wie keine Geräusche zu hören waren, nur ab und zu Hufklappern auf den Kopfsteinen.
Tuagh war bereits anwesend – natürlich, er würde sicher niemals so lange schlafen. Für ihn war gestern vermutlich ein eher ruhiger, wenn nicht langweiliger Tag gewesen, eine Erholung vom Kampf.
Bethana begrüßte ihn freundlich lächelnd und wies ihm einen Platz am Tisch zu. Sie war allein; bemerkte Fionns Blick und erklärte: »Ich habe sie fortgeschickt. Es ist besser, wenn sie so wenig wie möglich wissen. Die Palastwachen suchen immer noch nach euch. Allerdings nur noch mit normalen Patrouillen, sodass die Straßen wieder einigermaßen sicher sind, wenn ihr aufpasst.« Sie wies auf den voll beladenen Tisch. »Ihr findet euch zurecht, ich lasse euch jetzt allein. Ich habe einige Besorgungen auf dem Markt zu erledigen, und mittags kommt meine Familie zurück.«
»Danke für alles, Bethana«, sagte Tuagh. »Bis du zurück bist, sind wir fort.«
Das verlegene Schweigen zog sich in die Länge. Wobei Fionn den Eindruck hatte, dass die Verlegenheit ganz auf seiner Seite lag. Der Wanderkrieger schien völlig in Gedanken versunken und starrte ins Leere. Als würde er mit offenen Augen schlafen. Vielleicht wollte er auch nicht daran erinnert werden, dass er nicht allein war, und befand sich innerlich bereits auf der Reise … Fionn betrachtete ihn eine Weile verstohlen und machte sich seine Gedanken.
Dann nahm er all seinen Mut zusammen. »Wir … wir sollten zusammen reisen.« Er räusperte sich. »Du … hast die ganze Zeit für mich gesorgt, warum willst du mich jetzt allein losschicken?«
»Weil ich mit deiner Suche nichts zu tun habe«, antwortete der Wanderkrieger. »Denkst du, ich möchte so eine Verantwortung übernehmen? Außerdem habe ich anderes zu tun.«
»Was genau? Gestern hast du dich sehr vage ausgedrückt. Es klang nicht nach einem Auftrag. Und ich glaube, an Geld mangelt es dir momentan nicht.«
»Um Geld geht es nicht!«
»Worum dann?«
Tuagh richtete seine bernsteinfarbenen Augen auf den Bogin. Fionn sah Jugend und Alter zugleich darin, das Alter beherrschte in Einschlüssen die Oberfläche, die Jugend lag versteckt in dem hellen, klaren Kristallblick, doch vergangen war sie nicht. Und dazwischen? Viel Schmerz und Erfahrung, ein Leben voller Entbehrungen und Unruhe. »Woher willst du wissen …«
Es war nur geraten gewesen. Aber Fionn hatte während des Frühstücks einiges zusammengesetzt. Der Wanderkrieger hatte sich seine Geschichte angehört, er hatte sich um ihn gekümmert. Bethana hatte erzählt, er habe ihre Familie gerettet. Tuagh war zudem kein einfacher Söldner, sondern unter seinesgleichen sehr
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