Der Fluch der Halblinge
Sklaven verlangten, und zwar auf der Stelle.
»Wisst ihr nicht, wer ich bin?«, fuhr Meister Ian die Wachen an.
»Selbstverständlich«, antwortete die Wache zur Linken. »Ihr seid …«
» Ich weiß, wer ich bin, das müsst ihr mir nicht erklären!«, brüllte der Gelehrte. »Aber ich muss euch Strohköpfe wohl darüber aufklären, dass ich jederzeit Zugang zum Palast habe!«
»Es ist aber nun einmal so …«, fuhr der Mann fort, doch der zur rechten Seite fiel ihm ins Wort: »Wir haben unsere Befehle.«
»Dann schaff denjenigen her, der die Befehle erteilt hat, oder denkst du, ich setze mich weiter mit einer Hellebarde auseinander, an der ein Hampelmann hängt?«
»Nun, nun, derart aufgebracht? Ihr seid bis in den letzten Winkel des Palastes zu hören, Meister Wispermund.« Der Oberste Haushofmeister war hinzugetreten. Ein Mann, noch größer und hagerer als der Gelehrte, wie stets korrekt im Staatsgewand gekleidet, mit einem gewichtigen rotgoldenen Brokatmantel mit Stehkragen, und einem steifen, hohen schwarzen Hut. Außerdem hielt er einen langen Stab mit einem schweren goldenen Knauf in der linken Hand. Damit schlug er gern und häufig auf den Boden aus grünem Marmor, um seinen Worten Gewicht zu verleihen oder Bedeutendes eindrucksvoller auf den Punkt zu bringen.
»Pirmin, was habt Ihr getan? Ihr könnt doch nicht alle Bogins, ja das gesamte Volk verhaften lassen!«
»Ich kann und ich muss«, erwiderte der hagere Mann. »Und ich bin Euch keinerlei weitere Erklärungen schuldig, Ihr habt alles Wissenswerte erfahren. Wenn Ihr das nicht verstehen könnt, so kann ich Euch nicht helfen, Gelehrter.«
»Und ob wir das nicht verstehen können!«, erklang eine aufgebrachte Stimme aus dem Hintergrund. »Gebt uns sofort unsere Sklaven zurück, oder wir werden das Oberste Gericht anrufen und eine Verhandlung erzwingen!«
»Dazu bin ich außerstande. Es kann unmöglich eine Gerichtsverhandlung geben, solange die Àrdbéana unpässlich ist«, stellte der ehrenwerte Pirmin sich stur. Das war nichts Neues bei ihm, jedem war nur allzu gut bekannt, dass man mit diesem Mann kaum reden konnte. Seine Vormachtstellung bei Hofe war vielen unbegreiflich, doch sie blieb unangefochten. An ihm gab es kein Vorbeikommen, nicht einmal jetzt.
»Wie geht es unseren Sklaven?«, fragte Meister Ian scharf.
»Es mangelt ihnen an nichts.«
»So? Davon will ich mich selbst überzeugen.«
»Das ist unter den gegebenen Umständen nicht möglich. Wir wissen noch nicht einmal, ob wir alle Sklaven haben – denn nicht jede Herrschaft wird korrekte Angaben gemacht haben. Also werden wir zunächst unsere Bücher mit der Zählung vergleichen und feststellen, wer versteckt wird oder gar geflohen ist.«
Meister Ian presste die Lippen zusammen. Er würde dafür sorgen müssen, dass diese Zählung und der Abgleich so viel Zeit wie möglich in Anspruch nahmen.
Der Oberste Haushofmeister verzog die dünnen Lippen zu einem süffisanten Grinsen; er ahnte wohl die Gedanken des Gelehrten. »Wir werden eine Strafe über jeden verhängen, der seine Sklaven der Gerechtigkeit entzieht.«
»Pah!«, rief jemand. »Dazu müsste erst einmal ein Gesetz geschaffen werden …«
»… und das sollte möglich sein.«
»Na und? Dann berufen wir eine Ratsversammlung ein! Die könnt Ihr nicht verhindern, es sei denn, Ihr legt es auf einen Krieg an!«
Meister Ian musterte Pirmin durchbohrend. »Wollt Ihr das? Ihr provoziert schließlich Menschen und Elben gleichermaßen.«
»Ihr übertreibt«, versetzte Pirmin ärgerlich. »Es geschieht alles im Rahmen des Gesetzes.«
»Wenn Ihr es sagt … Dann habe ich aber auch ein Besuchsrecht bei den Gefangenen. Wo sind sie?« Ian Wispermund holte mit dem Arm aus. »Ich kenne diesen Palast sehr gut, ich gehe seit Jahrzehnten ein und aus. Es gibt hier kein Gefängnis, selbstverständlich nicht! Also, ich wiederhole: Wo sind sie?«
Der Oberste Haushofmeister gab keine Antwort, doch seine Augen verrieten ihn. Sie richteten sich unwillkürlich, einen winzigen Moment nur, auf den Boden, doch Meister Ian entging dieser Moment nicht.
Fassungslos drehte er sich zu seinen Begleitern um und deutete zu Boden. »Dort unten?«, stieß er ungläubig hervor. Er drehte sich Pirmin wieder zu. »Es gibt hier, unter dem Palast, ein Verlies?« Nun, Platz gab es genug, schließlich erhob sich das Gebäude auf einem Hügel. Da konnte man jede Menge in den Untergrund hineintreiben, vielleicht sogar eine ganze zweite Stadt. Wer weiß, wohin so
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