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Der Fluch der Halblinge

Der Fluch der Halblinge

Titel: Der Fluch der Halblinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Prisca Burrows
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Denk darüber nach! Es liegt an dir, wie schnell du hier herauskommst. Wir sehen uns morgen.«
    Und so vergingen die Tage. Fionn saß die meiste Zeit allein in seiner feuchtkalten Zelle, nach wie vor nackt, nach wie vor ohne Vergünstigungen. Nachdem die Fackeln heruntergebrannt waren, wurden sie nie mehr erneuert; es war stockfinster, und er konnte sich nur tastend zurechtfinden. Sie hielten ihn mit Nahrung am Leben, und regelmäßig verbanden sie ihm die Augen und schleppten ihn in den Verhörraum.
    Meistens war er hin- und hergerissen; wollte lieber in seiner Zelle bleiben, wenn er abgeholt wurde, und wenn er dann wieder einsam war und fror, war er für jede Aufmerksamkeit dankbar, die ihm zuteil wurde. Es tat gut, wenigstens ab und zu das Tageslicht zu sehen, denn so wusste Fionn, dass dort draußen immer noch eine Welt existierte, auch wenn er sie vielleicht nie wieder sehen würde. Wenn er jedoch an diesem Punkt angekommen war, wurde seine Verzweiflung nur noch stärker, und er fühlte sich noch elender und sein Magen krampfte sich jedes Mal zusammen, sobald Vàkur das Verhör begann.
    Vàkur war kein Falke, er war ein Geier, der die Eingeweide aus dem Aas zerrte, nachdem er die Beute zuvor lebend vom Felsen gestürzt hatte. Fionn nützten, abgesehen vom ersten Mal, dem Kennenlernen, seine stillen Vorbereitungen gar nichts: So wie man es mit seinem Äußeren getan hatte, wurde nun auch sein Inneres entblößt. Vàkur entlockte ihm Antworten, wo er keine geben wollte, und je mehr Antworten er gab, umso tiefer verstrickte er sich in Widersprüche. Er verteidigte sich verzweifelt und taumelte doch immer weiter in den Abgrund hinab. Vàkur führte ihm seine Schuld wieder und wieder vor, verdrehte alles, was Fionn Gutes anführte, zeigte ihm seine Verfehlungen auf, seinen Ungehorsam, sein gesamtes, nur auf sich gerichtetes Verhalten.
    Unvermittelt schwenkte Vàkur um und verlangte von Fionn Auskünfte über seinen Auftraggeber. Er setzte den jungen Mann immer mehr unter Druck, wiederholte die Anschuldigungen, wobei seine Stimme immer schärfer geriet. Er schrie ihn an, dass er endlich sein Wissen preisgeben solle. Er beschimpfte Fionn, beleidigte ihn, demütigte ihn. Dann machte er sich über ihn lustig, warf ihm Dummheit vor, bezeichnete ihn als Lügner, als Betrüger, als schlechten Sklaven seines Herrn, der ihm nie gut gedient hätte und sich schon lange durch den Mord zu befreien suchte. Fionn musste sich anhören, dass durch seine Schuld alle Bogins im Gefängnis verrotteten, dass er sie alle durch seine Sturheit verriet und dem Pranger, wenn nicht gar der Folter unterwarf.
    Fionn bat und bettelte, es möge aufhören, man möge ihn endlich in Ruhe lassen, er habe nichts weiter zu sagen, und das sei die Wahrheit. Vàkur reagierte zusehends wütend darauf und setzte Bestrafungen an: Fionn musste stundenlang stehen, durfte nicht schlafen, bekam scharfes Essen, aber nichts dazu zu trinken. Wenn er dann um Wasser bat, bekam er zur Antwort: »Du willst Wasser? Hier hast du es!« Und dann wurde sein Kopf in einen tiefen, voll gefüllten Eimer getaucht, so lange, bis er Panik bekam, zu ertrinken. Kurz bevor es dazu kam, wurde er hoch gerissen, er konnte gerade zwei- oder dreimal nach Luft schnappen, dann wurde er wieder untergetaucht. Mehrmals hintereinander litt er Todesängste, bis die Strafe beendet war.
    Irgendwann – er hatte längst aufgehört, die Tage zu zählen – war der junge Bogin nur noch ein wimmerndes Bündel, das zusammengekrümmt wie ein Kind schlief, oftmals auch nur dasaß und vor sich hinmurmelte, oder den Oberkörper vor- und zurückwiegte. Er wusste nicht mehr, was sie alles mit ihm anstellten, hauptsächlich blieben ihm die nie endenden Vorwürfe, das Verdrehen seiner Worte und das Anschreien im Gedächtnis. Egal, was er sagte, Vàkur wies stets auf seine Schuld hin, mit der er den Untergang seines Volkes auf sich lud.
    Fionn war allmählich soweit, daran zu glauben, denn alles andere ergab keinen Sinn mehr. Das Schlimmste war, dass er nur Vàkur als Ansprechpartner hatte; all seine Versuche, mit den Verhüllten zu reden, schlugen fehl. Sie antworteten nicht, wahrscheinlich hörten sie ihm nicht einmal zu. Er war ihnen völlig egal; sie hätten ihn wohl auch noch als Toten herumgeschleppt, wenn es ihnen aufgetragen würde.
    Kälte und Hunger zehrten ihn aus, seine Haut juckte und verschorfte, weil er sich nicht waschen konnte. Schlimmer als Vieh wurde er gehalten, und er empfand sich als

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