Der Fluch der Hebamme
einen großen Bogen um eine Menschengruppe machen, aber sie hatten eine feine Witterung für kranke und hilflose Wesen. Wenngleich er nichts wusste über Geburten und dergleichen und darüber auch nichts wissen wollte, so war ihm doch klar, dass dies eine blutige Angelegenheit sein würde – geradezu eine Herausforderung für ein hungriges Rudel Wölfe.
In den Zweigen vor sich und im Unterholz sah er schon von allen Seiten Lichter aufglimmen; Augen von Tieren, die er im Dunkel
nicht erkennen konnte.
Kuno schien seine Gedanken zu erraten. »Hier hat es seit Jahren keine Wölfe mehr gegeben«, sagte er, und tatsächlich fühlte sich Daniel von der tiefen Stimme und Gelassenheit des Älteren beruhigt.
Trotzdem war es unheimlich im dunklen Wald. Von allen Seiten raschelte es, funkelten winzige Lichter, der Wind rauschte, eine Eule schuhute. Die Männer standen im Dreieck um die beiden Frauen, die Rücken zu ihnen gewandt, und bemühten sich, zu überhören, wie Clara mit aller Kraft ihre Schmerzensschreie zu einem Wimmern und Stöhnen unterdrückte, während Johanna leise auf sie einsprach.
Je mehr Zeit verstrich, umso heftigere Vorwürfe machte sich Daniel, dass seine Schwester vielleicht durch seine Schuld sterben würde. Eine Geburt – das wusste jeder – war schon unter normalen Umständen eine Sache auf Leben und Tod. Nun musste sie ihr Kind nachts mitten im Wald zur Welt bringen, in Kälte und Finsternis, umgeben von wilden Tieren. Hatte er zu ängstlich gehandelt, indem er sie aus der Geborgenheit ihres Hauses riss? Doch im Grunde seines Herzens war ihm klar, dass ihnen viel Schlimmeres drohte, wären sie in Freiberg geblieben. Albrecht kannte kein Erbarmen, das wusste er seit seiner Kindheit, als er seinen Vater sterben sah. Jetzt konnte er nur beten, dass es Lukas und seiner Mutter gutging und Reinhard noch lebte.
Endlich – der Morgen graute schon – ein herzzerreißender Schrei, Johannas aufmunterndes »Gleich, nur noch einmal!« … und wenig später hörten die Männer das Wimmern eines Neugeborenen.
»Rasch, hol noch mehr Wasser!«, wies Johanna ihren Mann an und strich sich mit dem Handgelenk eine lose Strähne zurück. Kuno gehorchte sofort – ebenso erleichtert über den Anlass, diesen unheimlichen Ort wenigstens für ein paar Schritte verlassen zu können, wie verlegen, dass er wohl gleich etwas zu sehen bekommen würde, das kein Anblick für einen Mann war.
Doch Johanna hatte vorgesorgt. Von einem warmen Umhang bedeckt, lag Clara auf dem Boden, mit einem Schaffell als Unterlage, damit sie in der eisigen Nacht nicht erfror. Johanna nahm ihrem Mann die Schüssel ab und drückte ihm etwas in die Hand, in blutiges Leinen gehüllt. »Verbrenn das, und die Tücher dazu. Jetzt
müssen
wir Feuer machen. Die Nachgeburt muss verbrannt werden, und ich brauche warmes Wasser.«
Dann reinigte sie das Neugeborene, so rasch es ging, bevor sie es in warme Tücher hüllte und die Worte für die Nottaufe sprach, die jede Wehmutter auswendig kennen musste.
»Ihr habt eine Tochter, und sie ist wunderschön«, sagte sie froh.
»Ja«, flüsterte Clara. »Doch ich fürchte, ihr Vater ist tot.« Tränen rannen ihr übers Gesicht, während sie ihr Kind an sich drückte.
Die Männer machten ein kleines, verdecktes Feuer und zerstreuten den Rauch, um niemandes Aufmerksamkeit zu erregen.
Kuno teilte Brot aus und schlug vor, dass die anderen ein wenig ruhten; er würde inzwischen Wache halten. Ohnehin konnten sie nicht sofort weiter. Deshalb sprach er sich mit seiner Frau ab. »Spätestens morgen müssen wir weg von hier.«
Johanna behielt ihre Bedenken für sich. Erst einmal musste sie Clara aus den blutigen Kleidern bekommen. Vorsichtig half sie ihr auf und ging mit ihr zum Bach. Zähneklappernd vor Kälte, stieg Clara in das eiskalte Wasser und ließ sich hineinsinken. Sie wusste, dass dies in ihrer Lage das beste Mittel war. Das klare Wasser würde die üblen Gifte wegspülen, die einer Mutter den Tod im Kindbett bringen konnten. Dann presste sie sich Moos zwischen die Schenkel, damit es das Blut aufsog, zog sich ein frisches Kleid über und wurde von Johanna auf ein zweites Schaffell gebettet. Das erste, das voller Blut war, tauchte Johanna so lange ins Wasser, bis es sauber war, schüttelte es aus und hängte es über einen Ast.
Doch zuvor hielt Johanna Daniel das winzige Bündel entgegen. »Hier, Eure kleine Nichte!«
Verdutzt und erschrocken wich er zurück. Ansehen wollte er das
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