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Der Fluch der Hebamme

Titel: Der Fluch der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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ausmalen wollte. Und trotzdem drängte sich ihm immer wieder die Vorstellung auf, was ihr gerade geschehen mochte. Ihm war, als könnte er sie bis hierher schreien hören unter der Gewalttätigkeit der Männer, denen sie schutzlos ausgeliefert war.
    Warum nur hatte er das Land nach Ottos Tod nicht verlassen, zusammen mit ihren Kindern? Es war sein eitler Glaube, etwas gegen den ausrichten zu können, dessen Macht und Jähzorn ohne Grenzen waren. Aber nicht umsonst ging die Redensart: Man muss einen langen Löffel haben, wenn man mit dem Teufel essen will. Wie hatte er glauben können, etwas gegen einen Fürsten ausrichten zu können?
    Wenn ihr Opfer wenigstens etwas genützt hätte, Menschenleben gerettet wie damals Christians Entscheidung, entgegen dem Befehl das Burgtor den schutzsuchenden Stadtbewohnern zu öffnen! Aber wegen eines vorhersehbaren Zusammenstoßes musste sein Freund sterben und schwebte seine Frau in Lebensgefahr – sofern sie überhaupt noch am Leben war.
    Ich werde dich rächen, Reinhard!, dachte er, während er mit zusammengebissenen Zähnen weiter in Richtung Freiberg marschierte. Ich werde mich bis an die Zähne mit Waffen rüsten und einen Trupp wagemutiger Leute zusammensuchen, um Marthe aus dem Kerker zu holen. Jede Stunde zählte, also schritt er schneller aus, um zur verabredeten Zeit in der geheimen Höhle nahe Freiberg zu sein.
    Sein einziger Trost war, dass es anscheinend zumindest Daniel geschafft hatte, den Meißner Burgberg rechtzeitig zu verlassen. Wie er den Jungen kannte, würde er sicher versuchen, seine Schwester zu warnen. Falls Albrecht es auch auf Clara abgesehen hatte, blieb das seine einzige Hoffnung. Ohne Pferd hatte er selbst keine Möglichkeit, schneller bei ihr zu sein. Aber Daniel würde es wagen und schaffen, er besaß das Zeug dazu.
    Und seinen Jüngsten würden die Getreuen in Freiberg schon beim ersten Anzeichen für Gefahr in Sicherheit bringen, daran hegte er nicht den geringsten Zweifel.
     
    Lukas hatte keine Mühe, die Höhle zu finden, auch wenn er Jahre nicht hier gewesen war. Zu tief hatten sich ihm die Ereignisse eingeprägt, die von hier aus ihren Lauf nahmen. Hier hatte er mit Marthe gewacht, die aus dem Dorf vertrieben worden war, um am nächsten Morgen aufzubrechen und Hilfe zu holen, damit sie Christian aus Randolfs Kerker befreien konnten. Und später war Christian von hier aus zu einem Kampf aufgebrochen, den er nach seiner eigenen Überzeugung nicht überleben konnte.
    Doch damals hatte alles ein gutes Ende genommen. Damals. Dieses Mal durfte er nicht damit rechnen. Mindestens einen Toten hatte es schon gegeben. Und ob Hartmut, Gerald und Guntram sich vor Albrechts Zorn retten konnten, wenn erst seine Flucht entdeckt war, war ungewiss. Vielleicht waren sie schon tot. Und ihr Blut klebte an seinen Händen.
     
    Beinahe glaubte er, das Läuten der Glocken zum Osterfest zu hören. Doch das musste eine Sinnestäuschung sein, dafür war er zu weit weg von der Stadt und hatte der Wald zu viele eigene Geräusche. Zum Glück erstreckten sich die Gruben noch nicht in dieses Gebiet, vorerst folgten sie einem Erzgang in nordöstlicher Richtung durch die Stadt und darüber hinaus in Richtung Conradsdorf.
    Wachsam hörte er auf jedes Geräusch, immer in der Hoffnung, Kuno und Bertram kämen, und immer in Bereitschaft, gegen Gegner antreten zu müssen, die nach ihm suchten. Doch nichts weiter als ein paar Igel und Eichhörnchen hatten bisher seine Aufmerksamkeit hervorgerufen.
    Als die Dämmerung hereinbrach, sank seine Hoffnung ins Bodenlose. Nun würden die Stadttore geschlossen, und die beiden konnten nicht mehr kommen. So übermannten ihn düstere Gedanken. Wenn morgen nicht Feiertag wäre, könnte er in seiner Verkleidung bei den Gruben oder Scheidebänken Ausschau halten nach jemandem, der Jonas oder Peter eine Botschaft überbringen konnte. Die meisten Gruben und die Siedlung der Bergleute lagen außerhalb der Stadtbefestigung. Doch morgen würde niemand dort arbeiten. Und in die Kirche konnte er nicht gehen. Dort waren zu viele Menschen. Außerdem musste er damit rechnen, dass Pater Sebastian die Messe feierte, und der würde sich nur zu gern bei den neuen Herren andienen und ihnen den gesuchten Abtrünnigen verraten.
    Sollte er sein Glück in der Judensiedlung versuchen, die ebenfalls vor der Stadt lag, wenn auch in südlicher Richtung? Doch die Juden feierten ebenfalls ein Fest, wie er wusste, und waren nicht in ihren Häusern. Wenn er den Rabbi oder

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