Der Fluch der Hebamme
eigene Kosten. Sie würde das mit ihrem Mann besprechen müssen. Und zusehen, woher sie ein paar tüchtige neue Mägde bekam.
»Lasst uns beten, dass Lukas und Marthe noch leben!«, meinte Friedrich und schlug ein Kreuz, als er und die Schmiede das Burgtor verlassen hatten und auf dem Weg in ihre Häuser waren. »Jetzt kommen harte Zeiten auf uns zu.«
»Das wird sich erst zeigen«, wandte Jonas ein, obwohl auch ihn die Sorge beinahe zerriss. »Ihr überschätzt den Mut der Leute. Für die meisten Stadtbewohner ändert sich doch vorerst nichts. Manche werden heimlich trauern um Marthe und Lukas, die meisten aber lieber das Maul halten und sich sagen: Was geht’s mich an? Was Lukas und Marthe für Freiberg getan haben, wird schnell vergessen sein. Albrecht hat es geschafft, ihn als Eidbrüchigen und sogar Dieb in Missrede zu bringen.«
»Sollen sie wirklich nicht wissen, dass dieser neue Hauptmann Rutger Randolfs Sohn ist?«, fragte der alte Fuhrmann zweifelnd.
»Viele haben doch Randolf gar nicht mehr erlebt. Sie sind begeistert von Albrecht und wissen, dass Rutger der Ziehsohn des neuen Truchsessen ist, des mächtigsten Mannes nach Fürst Albrecht«, sagte Jonas bitter.
»Die anderen schweigen aus Angst. Und Angst ist ein sehr eindringlicher Ratgeber«, meinte Karl.
»Da habt Ihr wohl recht, Meister Schmied«, meinte Friedrich und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. »Aber wenn ich mir das vorstelle: die ganze Familie tot oder in Lebensgefahr – Thomas, die Kinder … Keiner weiß, was aus Lukas und seiner Frau geworden ist, ob sie noch leben. Vielleicht ist es auch nur ein böswillig verbreitetes Gerücht, dass Lukas geflohen ist. Vielleicht ist er längst tot, und sie wollen es nicht eingestehen.«
»Ich gebe die Hoffnung nicht auf«, meinte Jonas. »Gehen wir, und trinken wir zusammen mit Euerm Bruder einen Becher auf ihr Wohlergehen?«
»Mir ist eher danach, in der Kirche eine Kerze für sie aufzustellen. Aber Eure Einladung schlage ich nicht aus. Und ich denke, ich werde in nächster Zeit noch einmal ein paar kleinere Fahrten in die Umgebung übernehmen und dabei die Augen und Ohren offen halten.«
Einen Tag später kam Jonas’ ältester Sohn aus Meißen zurück und brachte Nachricht von seinem Bruder Guntram.
»In welcher Höhle?«, stöhnte sein Vater auf. »Kuno und Bertram haben nie ein Sterbenswörtchen darüber verloren! Und sie sind jetzt mit Clara und Daniel unterwegs. Gott steh uns bei – kein Mensch kann wissen, wann und ob sie jemals wiederkommen!«
Er ließ sich auf die Bank fallen und sah seine Frau ratlos an.
»Hoffentlich ist er nicht so leichtsinnig und traut sich in die Stadt!«, meinte Emma besorgt.
Christian, der wie Peter zu dieser kurzen abendlichen Zusammenkunft gerufen war, schüttelte den Kopf. »Er ist nicht dumm. Aber ziemlich wagemutig … und wohl auch verzweifelt. Er braucht Hilfe, um seine Frau zu retten.« Fragend sah er zu Peter: »Wenn du er wärest – wie würdest du versuchen, in die Stadt zu gelangen? Wir müssen ihn unbedingt abfangen, damit er nicht geradewegs in die Falle läuft!«
Unter Verbündeten
L ukas brauchte zu Fuß fast zwei Tage, um in die Nähe Freibergs zu gelangen. Er vermied es, im Hellen und auf offenem Weg zu gehen, und wenn er es sich auch nicht eingestehen wollte: Die Folter hatte ihm mehr zugesetzt, als er gefürchtet hatte. Jede Bewegung schmerzte ihn, der grob gewebte Stoff seines einfachen Kittels scheuerte auf den nässenden Striemen und Brandwunden und klebte immer wieder fest. Sooft sich Gelegenheit ergab und keine Menschen in der Nähe waren, zog er sich aus und kühlte die Wunden in einem Bach oder einer Quelle. Bei Tageslicht blieb er in den Wäldern, lief, so lange er konnte, nahm ein paar Vogelnester aus, um seinen Hunger zu stillen, und rollte sich dann zum Schlafen zusammen, um später im Schutz der Dunkelheit weitergehen zu können. Den Dolch – seine einzige Waffe, abgesehen von einem Spieß, den er sich zurechtgeschnitten und mit dem er ein paar Fische gefangen hatte – behielt er selbst im Schlaf in der Hand.
Doch trotz aller Erschöpfung musste er sich zwingen, auszuruhen. Seine Gedanken kreisten ununterbrochen um das Geschehen der letzten Tage. Wie erging es Marthe? Seine Angst um sie und das unauslöschliche Bild von der Hinrichtung Reinhards beherrschten ihn.
Er gab sich die Schuld am Tod seines Freundes und daran, dass die Frau, die er liebte, in einer Lage war, die er sich nicht
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