Der Fluch der Hebamme
war.
Doch die Christen von Kleinarmenien waren arm und hatten bei aller Fürsorge nicht genug zu essen, um ein ganzes Heer ernähren zu können. Die Sonne brannte schlimmer als je zuvor, und der Gebirgszug, den sie zu überwinden hatten, um an die Küste zu gelangen, war halsbrecherisch steil.
Immerhin: Sie litten nicht mehr unter Wassermangel, es hatte saftiges Weideland gegeben, damit wenigstens die Pferde wieder zu Kräften gelangten. Sie wurden nicht mehr angegriffen, und Jerusalem war nun vielleicht nur noch fünfhundert Meilen entfernt.
Wenn ich heil unten ankomme, stifte ich von meinem letzten Geld in der nächsten Kirche eine Kerze, dachte Thomas und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Dann hätte er beinahe gelacht über seinen Gedanken.
Er
war
nicht heil. Selbst wenn die Verletzung sauber vernarbte, würde er den Arm vermutlich nie wieder so bewegen können wie früher – und schon gar nicht eine Waffe damit führen. Wahrscheinlicher war allerdings, dass er entweder doch die Knochensäge des Feldschers in Anspruch nehmen musste oder am Wundfieber starb. Oder einfach vor Hitze, Hunger und Entkräftung.
Abgesehen davon glaubte er, allmählich wahnsinnig zu werden. In seinen wirren, fiebrigen Träumen blitzten immer wieder die gleichen Bilder auf: spritzendes Blut, abgeschlagene Gliedmaßen, verwesende Leichen, das Feld voller Toter, denen Geier und merkwürdig gefleckte Wolfshunde das Fleisch von den Knochen rissen.
Die Gesichter der Männer, die er getötet hatte, verfolgten ihn im Traum. Und im Wachen verfolgte ihn die Erinnerung an die Gefährten, die auf dem Marsch umgekommen waren.
Ein erneuter Steinhagel umhüllte ihn mit Staub; jemand rutschte und schlitterte den Abhang hinab und kam etwas unterhalb von ihm zum Stehen.
»Zögert nicht, das schlimmste Stück ist schon geschafft!«, rief eine vertraute Stimme. Nachdem der Wind den Staub weggewirbelt hatte, erkannte Thomas den kleinen Mönch. Dem schien es erstaunlicherweise nicht viel auszumachen, den Steilhang bei dieser Hitze herunterzuklettern.
Jetzt hielt er Thomas sogar die Hand entgegen.
Was bin ich für ein jämmerlicher Ritter, wenn ich mich von einem Mönch stützen lassen soll, noch dazu von solch einem Hänfling, dachte Thomas beschämt.
Vor dem Aufbruch hatte er schon Ruperts Angebot abgelehnt, ihm zu helfen, und diesen Stolz mittlerweile ziemlich bereut.
Notker schien seine Gedanken erraten zu haben, nestelte etwas von dem Strick um seine arg mitgenommene Kutte und reichte ihm
einen halbvollen Wasserschlauch.
»Ihr seid krank, Ihr müsst trinken!«, ermutigte er ihn. »Aber wir haben es gleich geschafft. Unten, im Fluss, könnt Ihr den wunden Arm kühlen, in der Stadt wird uns der Fürst willkommen heißen und ein Gotteshaus Stärke und Trost spenden.«
Diese Aussicht musste es wohl sein, die Notker Kraft gab. Er schien seine Verzagtheit vergessen zu haben und lächelte sogar.
Thomas unterdrückte seinen Stolz und trank dankbar von dem lauwarmen Wasser. Der verlockende Gedanke, den brennenden Schmerz in der Kühle des Flusses lindern zu können, trieb ihn dazu, dem kleinen Mönch ins Tal zu folgen.
Am Ufer wartete Graf Dietrich, bis sich seine Männer wieder vollzählig versammelt hatten. Es waren kaum noch halb so viele Ritter wie in Pressburg, auch wenn Rupert nun in diesen Stand erhoben war. Thomas hatte einen neuen Knappen zugewiesen bekommen – den Jungen, der mit dem Starkauer gereist war –, und Rupert hatte den Knappen des Auenweilers übernommen und musste nun damit zurechtkommen, plötzlich jemandem Befehle erteilen zu müssen, der noch vor ein paar Tagen mit ihm gleichgestellt war.
Zum Glück hatten auch Radomir und Rolands zierlicher Schimmel den Abstieg überstanden und soffen im Fluss.
»Das Wasser ist wirklich eiskalt«, berichtete Thomas, der seinen Arm in der Strömung gekühlt hatte, während sie auf die Nachzügler warteten.
So schmerzhaft es für ihn auch war, sich mit seiner Verletzung in den Sattel zu ziehen, beschloss er, den Fluss auf dem Rücken seines Rappen zu überqueren. Er fühlte sich zu schwach zum Schwimmen und zu erhitzt; vielleicht von der Sonne, vielleicht war auch das Fieber zurückgekehrt.
Erleichtert von dem Gedanken, bald ausruhen zu können – im besten Fall sogar in einem kühlen Haus und einem richtigen Bett statt auf dem Erdboden! –, überließ er es Radomir, Graf Dietrichs Schimmel zu folgen, und spürte, wie ihm die Augen langsam
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