Der Fluch der Hebamme
Albrechts Angriffe wahren wollte, brauchte er einen mächtigen Schwiegervater als Verbündeten für die unausweichlich bevorstehenden Kämpfe. Sonst würde sein Bruder ihn vernichten.
Außerdem hatte Dietrich das Kreuz genommen und war längst unterwegs, um sich dem Heer des Kaisers anzuschließen. Nur Gott allein konnte wissen, wann und ob er überhaupt wiederkommen würde.
»Ich weiß, dass es aussichtslos ist, auf ihn zu hoffen«, sagte Clara mit gesenktem Kopf. »Aber muss es denn so schnell sein, dass ihr mich mit einem anderen verheiratet?«
»Es ist der einzige Weg, wenn du hierbleiben willst«, antwortete Marthe bedrückt. »Albrecht hat deinem Vater und mir schon vor Jahren gedroht, wir sollten lieber das Land verlassen, wenn er erst hier herrscht. Spätestens bei seinem Machtantritt wird er zusehen oder sogar veranlassen, dass dich einer seiner Kumpane entführt, wenn Lukas und unsere Getreuen einmal nicht hier sind. Oder er befiehlt dir, einen seiner Vasallen zu heiraten.«
Sie lachte bitter auf. »Und glaube mir, er würde dir den schlimmsten seiner Kerle aussuchen. Albrecht vergisst nie, alte Rechnungen mit doppeltem Zins zurückzuzahlen.«
»Aber ich habe ihm auch eine Rechnung aufzumachen! Er ließ Vater ermorden, vor meinen Augen«, entgegnete Clara so heftig, dass Marthe erschrak.
Sie beugte sich vor und umklammerte die Hände ihrer Tochter. »Vergiss nie: Ein einziger Blick, ein falsches Wort ihm gegenüber kann den Tod für uns alle bedeuten!«
»Ich weiß«, erwiderte Clara ruhig.
Auch wenn ein Teil von Marthe zu anderer Zeit stolz gewesen wäre auf Claras Mut; jetzt spürte sie einfach nur eine riesige Angst in sich aufsteigen, ihre Tochter – geprägt und womöglich leichtsinnig geworden durch den jahrelangen Umgang mit dieser Verschwörerbande um Peter – mochte sich zu etwas hinreißen lassen, das ihr zum Verhängnis werden könnte.
»Es ist nicht
deine
Aufgabe, Vater zu rächen«, sagte sie streng. »Und du solltest nicht nur Albrecht und seine Gefolgsleute als Bedrohung ernst nehmen.«
Clara lehnte sich zurück, zog die Augenbrauen hoch und sah ihre Mutter fragend an.
Ich muss es ihr sagen, dachte Marthe, damit sie begreift, wie ernst die Dinge wirklich stehen. Die morgendliche Begegnung
mit Pater Sebastian hatte sie deutlich daran erinnert, in welcher Gefahr sie beide schwebten. Also holte sie tief Luft und
nahm alle Kraft zusammen, um ihrer Tochter etwas zu berichten, wovon sie nicht einmal Christian Einzelheiten verraten hatte.
»Du warst noch ganz klein«, begann sie zögernd, und jedes neue Wort schien ihr schwerer zu fallen. »Das war damals die schlimmste Zeit für unser Dorf. Ständig drohten neue Überfälle, Randolf richtete sich hier als künftiger Burgherr ein …«
Marthe sah, dass Clara das Gesicht verzog, als sie den Namen hörte.
»Und dann waren noch ganz neu im Ort Pater Sebastian, der gleich am ersten Tag mit deinem Vater aneinandergeriet, weil er meine Heilmittel verunglimpfte, und ein missgünstiger Medicus, der sich an mir rächen wollte, weil Hedwig ihn wegen seiner Stümperei vom Burgberg vertrieben hatte. Genau zu dieser Zeit – und das war sicher kein Zufall – bekam dein Vater den Befehl, Otto zu einem Hoftag zu begleiten. Er beschloss, mich bei Raimund und Elisabeth in Sicherheit zu bringen. Doch ich wurde verraten. Als ein Geistlicher hier auftauchte, um mich vor ein Kirchengericht zu bringen, trug ihm jemand zu, wo ich zu finden war. Sie legten mir gleich in Elisabeths Halle Fesseln an. Damit war das Urteil über mich bereits gefällt.«
Marthe hatte die Arme um sich gepresst und starrte auf die Tischplatte, als gäbe es in der Holzmaserung etwas Interessantes zu lesen, während sie leise weitersprach.
»Sie schafften mich ins Verlies des Meißner Bischofspalas. Fremde Männer rissen mir die Kleider vom Leib. Ich wurde ausgepeitscht, bis ich blutüberströmt zusammenbrach. Nach drei Tagen ohne Wasser und Essen wurde ich vor das Kirchengericht gezerrt. Und der Mann, der von Anfang an meinen Tod gefordert hatte, setzte durch, dass meine Schuld oder Unschuld mit der Probe auf dem kalten Wasser festgestellt werden sollte.«
Clara zuckte zusammen und blickte ihre Mutter fassungslos an. Sie wusste wie jedermann, dass niemand die Probe auf dem kalten Wasser überlebte. Wer nicht unterging, galt als schuldig, weil das reine Wasser eine Hexe nicht aufnahm, und wurde verbrannt. Wer unterging, hatte zwar damit seine Unschuld bewiesen, war
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