Der Fluch der Hebamme
beschloss er, statt des hellen Glockentons seine immer noch donnernde Stimme zu nutzen, um jemanden zu sich zu befehlen.
Doch auch daraufhin kam niemand.
Otto spürte, wie die Zornesader an seiner Schläfe pochte und anschwoll.
Was für eine Frechheit – erst nicht zu seiner Begrüßung zu erscheinen und ihn dann am frühen Morgen hungern zu lassen! Die Entrüstung darüber brachte sein Blut so sehr in Wallung, dass er die wärmenden Decken von sich warf, die Kälte innerhalb der Mauern nicht beachtete, zur Tür stapfte und sie aufriss.
Doch als sein Blick auf die beiden Männer fiel, die dort Wache hielten, stutzte er für einen Augenblick.
Er kannte keinen von beiden.
»Schafft sofort diesen ungehobelten Kerl von einem Burggrafen herbei und sorgt dafür, dass mir ein Morgenmahl gebracht wird!«, schnauzte Otto. »Außerdem will ich umgehend den Hauptmann meiner Leibwache hier sehen.«
Die beiden Wachen wechselten einen Blick, dann rief einer von ihnen einen Diener herbei, der in der Nähe gestanden hatte.
»Du hast gehört, was Seine Hoheit befiehlt! Spute dich!«
Nach einer hastigen Verbeugung huschte der Diener davon.
Der Markgraf, der trotz seines Wutanfalls erneut zu frösteln begann, beschloss, zurück ins Bett zu flüchten und unter die Decken zu kriechen, nachdem er das Nachtgeschirr benutzt hatte. Er fühlte sich müde und schwach, und während des Wartens fielen ihm langsam wieder die Augen zu. Deshalb zuckte er zusammen, als die Tür kraftvoll aufgerissen wurde.
Otto fuhr hoch und wollte schon den Diener wegen seiner Langsamkeit und seines ungehörigen Verhaltens schelten. Doch ehe er etwas sagen konnte, klappte er den Mund wieder zu.
Durch die Tür kam nicht etwa ein Diener, sondern Albrecht – sein ältester Sohn, der eigentlich gerade in Meißen sein sollte.
In voller Rüstung und begleitet von vier Bewaffneten, darunter Elmar, der Anführer seiner Leibwache, und Randolfs Sohn Rutger, der ein Schwert trug, obwohl er nur Knappe war.
»Einen gesegneten Morgen, verehrter Vater«, sagte Albrecht höflich, doch seine Stimme triefte vor Hohn, und sein Gesicht trug den hochmütigen Ausdruck, den er in den letzten Jahren seinem Vater gegenüber vermieden hatte. »Ich hoffe, Ihr habt gut geruht und findet Gefallen an dieser Gästekammer. Denn Ihr werdet hier womöglich länger verweilen.«
»Was soll das heißen?«, schnauzte Otto ihn an.
»Das heißt, Ihr werdet diesen Raum nicht verlassen, bevor Ihr mich als rechtmäßigen Erben eingesetzt habt und mir die Herrschaft über die Markgrafschaft abtretet. Mit sofortiger Wirkung. Ich bin es leid, noch länger warten zu müssen. Danach dürft Ihr Euch an einen Ort Eurer Wahl zurückziehen. Ob ins Kloster nach Marienzelle oder auf irgendein entlegenes Landgut, ist mir vollkommen gleichgültig.«
»Du wagst es, dich gegen deinen Vater aufzulehnen?!«, brüllte Otto seinen Sohn an. »Gegen Gottes Gebot? Ich werde mich beim Kaiser über dich beschweren! Ich werde höchstselbst dafür sorgen, dass du nicht das geringste Stückchen Land erbst!«
Albrecht zuckte gleichgültig mit den Schultern und lächelte kalt.
»Und wie willst du dem Kaiser Nachricht zukommen lassen, alter Mann? All deine vermeintlich Getreuen haben sich mir angeschlossen; wer sich weigerte, den fressen schon die Würmer. Es ist niemand mehr da, der für dich eine Nachricht überbringen könnte. Außerdem ist der Kaiser ins Heilige Land aufgebrochen. Er hat mit seinem Heer Regensburg längst verlassen und dürfte bald die Grenze nach Ungarn passieren. Ganz abgesehen davon würde er es kaum gutheißen, dass du deinem Erstgeborenen das Erbe verweigern willst.«
Unversehens war der Jüngere zur plump-vertraulichen Anrede übergegangen, was Otto zeigte, dass Albrecht sich seiner Sache sehr sicher sein musste.
Seine Gedanken rasten auf der Suche nach einem Ausweg. Dafür versuchte er sogar, seinen aufbrausenden Zorn zu bezwingen.
Sollte Albrecht tatsächlich alle getötet haben, die nicht bereit waren, auf seine Seite überzuwechseln? Bestimmt, gestand sich Otto ein, und ihn fröstelte erneut, während er sich vorstellte, wer ihm wohl die Treue hatte halten wollen und dafür mit dem Leben bezahlen musste.
Albrecht war skrupellos und schlau genug, um seinen Gewaltstreich sorgsam vorbereitet zu haben und alle auszuschalten, die ihn dabei stören könnten. Und auch der Zeitpunkt war klug gewählt. Kaiser und König befanden sich außer Landes.
Elmar, Reinhard … die haben
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