Der Fluch der Makaá
und fest bis zum nächsten Morgen, der uns zu dem Fluss brachte, den wir vor ein paar Tagen überquert hatten. Da es seither nicht mehr geregnet hatte, hatte er deutlich an Wasser und Strömung eingebüßt. Die Überquerung, bei der wir trotz allem – und besonders ich – auf jeden unserer Tritte acht gaben, verlief ohne Schwierigkeiten, und nach einer weiteren Stunde Fußmarsch erreichten wir gegen Mittag, ganz wie er es vorausgesagt hatte, Bleys graugrünen Kombi, Nach einem kargen Mittagsmahl stiegen wir ein. Meine Brüder und ich ließen uns auf der Rückbank nieder, Mateo auf dem Beifahrersitz und Bley klemmte sich hinter das Lenkrad. „Anschnallen nicht vergessen!“, strahlte er uns an und startete den Motor.
Tag 15 nach dem Absturz
W ir folgten einer mit Pflanzen überwucherten Piste auf der wahrscheinlich nur alle paar Monate mal ein Auto fuhr. Noch immer ging es talwärts und Bley wechselte unermüdlich die Gänge, um kleinere Felspartien zu nehmen und um Schlaglöchern auszuweichen. Ohne Vierradantrieb wäre der Kombi nicht weit gekommen. Nach über zwei Stunden bogen wir in eine Landstraße auf der wir schneller vorwärts kamen, um schließlich die Hauptstraße zu erreichen, die wir in den nächsten Tagen nicht mehr zu verlassen brauchten, da sie geradewegs gen Norden führte.
Mateo schätzte die Entfernung von unserem Ausgangspunkt bis zur Cueva de Guácharo – der Guácharo-Höhle – auf etwa 700 bis 800 Kilometer. Für europäische Verhältnisse nichts Aufregendes, doch man muss bedenken, dass wir auf venezolanischen Straßen unterwegs waren. Von diesen waren zwar viele asphaltiert, doch sie luden keineswegs zum Rasen ein, da die Sonne überall den Asphalt aufgeweicht hatte. Zwei Tage für unsere Reise anzusetzen, wie Bley es getan hatte, war in meinen Augen reines Wunschdenken.
Allerdings erwies sich unser seltsamer Gefährte als geschickter Autofahrer und ging selbst dann nicht vom Gas, wenn andere schon längst auf die Bremse gedrückt hätten. Bley behielt selbst in gefährlichen Kurven und bei Schlaglöchern die Kontrolle über seinen Kombi, und das nahmen wir zum Anlass neuen Mut zu schöpfen. Vielleicht hatte Bley uns doch nicht zu viel versprochen…
Die Stunden vergingen und selbst, wenn ich anfangs noch darauf bedacht war sie zu zählen, verlor ich irgendwann den Überblick. Ich erinnere mich nur noch an einen Stopp, den wir kurz nachdem wir San Francisco passiert hatten, einlegen mussten, um das Auto an einer entlegenen Tankstelle vollzutanken – Bley stellte noch zwei Kanister Benzin als Vorrat in den Kofferraum – doch ansonsten verhält es sich mit meiner Erinnerung wie mit dem grauen Dunstschleier, der über der Gran Sabana und ihren Tafelbergen hing. Am Rande bekam ich mit, dass sich Mateo und meine Brüder über die Guácharos unterhielten, über ihr Aussehen und Verhalten; dass manche der braungefiederten Vögel ausgewachsen fast einen halben Meter lang werden können mit einer Flügelspannweite von einem Meter; dass der Guácharo der einzige Nachtvogel ist, der sich von Pflanzen ernährt, Früchte sammelt, und sich erst nach der Rückkehr in die Höhle gütlich daran tut; dass die Jungvögel durch die pflanzlichen Öle in ihrer Nahrung rasch viel Fett ansetzen, was die Indianer dazu bewog, die Jungtiere zu töten, und aus dem Bauchfett der Küken Schmalz zu gewinnen, das mehr als ein Jahr lang gelagert werden kann ohne ranzig zu werden. Ich horchte kurz auf, bei der Bemerkung, dass aus diesem Grund die Guácharos auch Fettvögel oder Fettschwalme genannt werden, was ich zum einen amüsant fand, zum anderen aber auch makaber. Die armen Tierchen taten mir leid, da sie den Indígenas zum Opfer fielen – und das nur aufgrund ihres kleinen Übergewichtes… Robert versuchte allein aufgrund Mateos Beschreibung einen Fettvogel zu skizzieren, doch ich kann nicht sagen, ob es ihm gelang. Meine Gedanken kreisten hauptsächlich um meine Eltern, und darum, ob die verbleibende Zeit ausreichen würde sie vor den Makaá zu retten und uns alle vor deren Fluch. Bleys leises Pfeifen mischte sich unter das Motorgeräusch, während die exotische Landschaft, die uns einst so fremd gewesen war, an uns vorüber zog. Alles war trotz unseres kurzen Aufenthalts in Venezuela bereits so vertraut. Seltsam , dachte ich.
D as nächste, was ich wahrnahm, war völlige Stille. Der Motor lief nicht mehr. Ich schreckte auf und rechnete mit dem Schlimmsten. Hatten wir eine Reifenpanne, einen
Weitere Kostenlose Bücher