Der Fluch der Maorifrau
die London Mission nicht gescheut.
Kate saß zwischen Otto Brenner und Paula, die beide hemmungslos schluchzten. Für Kate gab es einen kleinen Trost, der sie davor rettete, nicht in Verzweiflung auszubrechen: Sie hatte Großmutter das Bild von Großvater John mit in den Sarg gelegt. Nun war er bei ihr bis in alle Ewigkeit. Ja, Kate klammerte sich nun geradezu an diesen Gedanken. Immer noch hatte sie keine Träne vergossen. Ihr Inneres war wie vereist. Sie wollte ja weinen, aber sie vermochte es nicht! Wie gern hätte sie sich an Marias Schulter geworfen, aber die war in Begleitung von Max gekommen und machte einen abweisenden Eindruck. Die Hochzeit der beiden sollte bereits in wenigen Tagen stattfinden, hatte man Kate zugetragen. Sie war nicht einmal eingeladen. Noch ein großer Fehler, den ich begangen habe, dachte Kate wehmütig. Maria wird an der Seite dieses Holzkopfes eingehen wie eine Pflanze, die kein Wasser bekommt.
Als die Trauergesellschaft wenig später in glühender Hitze den Friedhof verließ, nahm Kate Otto Brenner zur Seite. »Was ist mit Manono geschehen?«, fragte sie nachdrücklich. Brenner sah Kate wissend an.
»Loana hat es mit den Leuten ihres Dorfes so ausgehandelt, dass sie ihn nach ihren Ritualen beerdigt haben.«
»Und war er wirklich ein Mau?«
Otto Brenner zuckte mit den Achseln. »Wer weiß? Die Behörden behaupten es, doch es ist merkwürdig, dass er für Ihre Großmutter bis an den Rand der Erschöpfung gearbeitet hat, statt seine Helfer dazu zu bringen, die Ernte der Palagi verkommen zu lassen.«
»Ich könnte es sogar verstehen, wenn er ein Mau gewesen wäre, denn es ist ihr Land!«, erklärte Kate entschieden.
Otto Brenner kniff sorgenvoll die Augen zusammen. Ihm missfielen diese Worte offensichtlich.
»Sie wollen wissen, wie es mit der Plantage weitergeht, nicht wahr?«, fragte sie nun zögernd.
»Ja, Fräulein Kate, das liegt mir sehr auf der Seele. Sie werden sicherlich die Insel verlassen, aber was wird dann mit meiner Familie und mir?«
Kate schaute ihn verwundert an. Wie kam er bloß darauf, dass sie Samoa verlassen würde?
»Brennerchen, ich bleibe, und alles bleibt in unserer beider Hand. Schreiben Sie dem Hamburger, dass Sie hier alles im Griff haben und die Enkelin von Anna Peters Ihnen eine echte Hilfe ist!«
Er lächelte dankbar.
Sie erwiderte sein Lächeln. Es tat gut, ihn wieder lächeln zu sehen.
»Wir schaffen das schon!«, bekräftigte sie. »Hat das Kalken der Bäume denn eigentlich etwas gebracht?«
»Sie glauben es nicht, es hat den Rest der Pflanzen verschont.«
»Sehr gut. Brenner, können Sie mir nicht eine Hilfe schicken? Paula kann das nicht mehr, und Maria lebt seit dem schrecklichen Tag bei den Schombergers. Da ich den Laden jetzt allein schmeißen muss, brauche ich Unterstützung. Und Hand aufs Herz, Ihre Loana haben Sie doch sicher lieber bei sich dort oben?«
Brenner nickte mit Tränen in den Augen. »Sie sind richtig. Sie sind die Enkelin Ihrer Großmutter. Eine würdige Nachfolgerin. Packen wir es an!«
Nachdem sich Kate von ihm verabschiedet und ihn gebeten hatte, Paula nach Hause zu bringen, ging sie ganz allein zum Strand. Genau an die Stelle, wo Granny gestorben war. Sie starrte auf das Meer hinaus, bis ihre Tränen flossen. Endlich konnte sie trauern. Um Granny und um Manono und ihre zerstörten Träume. Aber auch, weil sie allein zurückgeblieben war. Sie hatte nur noch die gute alte Paula, von der sie schon vor Jahren geglaubt hatten, dass sie vor Granny das Zeitliche segnen würde.
Als Kate schließlich keine Tränen mehr hatte, suchte sie im Geiste die sanften sattgrünen Hügel der Südinsel Neuseelands und schwor sich, dass man auch sie, komme, was wolle, einst in ihrer kühlen grünen Erde begraben würde.
In diesem Augenblick ging ein heftiger Tropenregen nieder. Kate flüchtete jedoch nicht ins Trockene; sie breitete vielmehr die Arme aus und genoss die dicken, warmen Tropfen, die mit voller Kraft auf sie niederprasselten.
»Wir werden weiterleben!«, schrie sie gegen den Regen an. »Wir werden leben!«
Ocean Grove, 2. Januar 2008
Von ferne hörte Sophie ein bekanntes Motorengeräusch. Ob das schon John war? Bei dem Gedanken schlug ihr Herz gleich doppelt so schnell, und sie ließ die Aufzeichnungen unter dem Korbstuhl verschwinden, obgleich es ihr gar nicht leichtfiel, sie an dieser Stelle aus der Hand zu legen. Da fuhr er schon den Sandweg entlang, hielt vor dem Haus und sprang strahlend aus dem Jeep, in der
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