Der Fluch der Maorifrau
freien Parkplatz suchte. Der schwarze Wagen hielt nur wenige Meter hinter ihr. Mit wild klopfendem Herzen sprang Sophie aus dem Auto und rannte zu ihrem Verfolger hinüber, doch bevor sie auch nur einen Blick in den Rover werfen konnte, setzte der Mann am Steuer zurück und fuhr davon.
Sind meine Nerven überreizt, fragte sie sich, oder werde ich tatsächlich verfolgt? Energisch schob sie den Gedanken als Einbildung beiseite und betrat den Einkaufsmarkt. Alles Blödsinn!, beruhigte sie sich. Wer sollte mich schon verfolgen? Schließlich ließ sie sich von der bunten Warenwelt ablenken. Außerdem knurrte ihr Magen nun vernehmlich. Sie packte alles ein, worauf sie beim bloßen Betrachten Appetit bekam, und kehrte mit einem vollen Kofferraum nach Pakeha zurück.
Die Sonne hatte die Wolken inzwischen fast gänzlich vertrieben, als Sophie auf der Veranda ihr Frühstück einnahm. Immer wieder war sie versucht, sich das Manuskript zu greifen, aber es gab so vieles, das sie vor dem gierigen Weiterlesen noch verarbeiten musste. Hoffentlich hat Kate den Schuss unbeschadet überlebt, dachte sie, während sie das Frühstückstablett in die Küche trug. Im Vorbeigehen blieb ihr Blick an einer Zeichnung hängen. Eine alte, hagere Frau mit traurigem Gesichtsausdruck war darauf zu sehen. Paula, kam es Sophie in den Sinn, das ist bestimmt Paula! Daneben die Zeichnung eines Hundes. Er sah aus wie ein Schäferhund, doch die Ohren hingen schlapp herunter. Vielleicht ein Huntaway? Sophie warf einen Blick auf die gegenüberliegende Wand und stutzte.
Dort hingen völlig andere Bilder. Aquarelle in leuchtenden Farben. Neugierig trat Sophie näher heran. Da war ein Meister der Lasur am Werk, dachte sie, während sie Bild für Bild eingehend mit dem geschulten Auge einer Kunstlehrerin betrachtete. Jetzt erst erkannte Sophie die Signatur: Kate McDowell. Besonders ein Sonnenuntergang hatte es ihr angetan. Trotz der strahlenden roten Farbtöne in allen Schattierungen hatte er so gar nichts Kitschiges an sich, sondern war ein kleines Meisterwerk.
Kate war also Malerin gewesen. Das, was Sophie früher immer hatte werden wollen. Wie hatte Sophie ihre Mutter früher stets getröstet, wenn sie in Mathematik eine schlechte Note bekommen hatte? »Ist doch sowieso egal, ich werde später malen. Da brauche ich das Rechnen allenfalls, um die richtigen Preise zu kalkulieren.«
Bei der Erinnerung seufzte Sophie. Wann habe ich diesen Wunsch eigentlich aufgegeben? Noch während des Studiums hatte sie fest daran geglaubt, aber dann hatte sie ihre Zeichnungen fortgelegt und sich auf eine Stelle als Kunsterzieherin beworben. Mit einem Mal erinnerte sie sich, wann und warum sie Abschied von ihrem Traum genommen hatte. Es war der Tag gewesen, an dem sie Jan ihre Zeichnungen gezeigt hatte. Er hatte nur etwas von »brotloser Kunst« gemurmelt und ihr bald darauf die Stellenausschreibung mitgebracht.
Der Gedanke daran, dass sie ihr Talent einfach verraten hatte, schmerzte Sophie plötzlich. Je länger sie vor diesen Werken stand, desto mehr Erinnerungen kamen in ihr hoch. Emma hatte sich damals unglaublich über ihre Entscheidung, Lehrerin zu werden, aufgeregt. »Warum tust du das?«, hatte sie wissen wollen.
»Weil ich als Künstlerin nicht gut genug bin!«, war Sophies klare Antwort gewesen.
Weil ich nicht gut genug bin! Habe ich das wirklich behauptet?, fragte sie sich nun. Und warum hat man mir damals das Stipendium in der Villa Massimo angeboten, das ich nur deshalb nicht angetreten habe, weil Jan es für Zeitverschwendung hielt? Ich war offenbar gar nicht schlecht, sondern habe nur nicht an mich selbst geglaubt, dachte sie traurig.
Abrupt wandte Sophie den Blick von den Werken ab. Nachdenklich wanderte sie durch das Wohnzimmer, öffnete Schubladen und Schränke, in denen sie jede Menge kostbares altes Geschirr fand. Im letzten der Schränke fielen Sophie eine Staffelei sowie Pinsel und Farben von Winsor & Newton ins Auge. Von dieser traditionsreichen Firma stammte auch das Malwerkzeug, das Emma ihr einst geschenkt hatte. Nur waren diese Malkästen über fünfzig Jahre alt. Sophie spürte, wie sich ihr Pulsschlag beschleunigte. Alles nur ein Zufall, redete sie sich ein.
Apia, Oktober 1908
Als Kate erwachte, waren ihre Lider so schwer, dass sie die Augen nicht öffnen konnte. In ihrer Nähe sprachen zwei Stimmen aufgeregt miteinander: die von Paula und die von Johannes Wohlrabe.
»Ich mache mir weniger Sorge um die junge Frau«, raunte der
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