Der Fluch der Maorifrau
daran, dass die Gedanken der Ahnen in uns weiterleben«, gestand Sophie.
»Du hast es mit angehört?«, fragte Judith tonlos.
»Ja, aber schon wieder vergessen!«, spielte Sophie es herunter.
Dann umarmten sie sich und versicherten einander die Freundschaft.
»Soll ich noch bei dir bleiben?«, erkundigte sich Sophie, auch wenn es ihr schwer fiel. Es zog sie magisch zurück zu Emmas Aufzeichnungen. Natürlich hingen ihr die drohenden Worte der alten Dame nach. Aber das würde sie der werdenden Mutter nicht verraten!
»Geh nur, ich werde mich auch gleich schlafen legen.«
Dunedin, November bis Dezember 1914
Nora war wie vom Donner gerührt. »Seit gestern frage ich mich ständig, was in den Alten gefahren ist. Komm, wir müssen es herausfinden!«
Mit diesen Worten zog Nora Kate am Ärmel ins Arbeitszimmer ihres Mannes. Mit einem einzigen Griff zog sie einen Haufen Papiere aus der oberen Schublade.
»Das sind die Unterlagen meines Großvaters. Er hat hier bis zu seinem Tod vor drei Jahren gewohnt, wobei gehaust eigentlich treffender wäre. Mein Großvater hat sich um das letzte bisschen Verstand gesoffen. Seine Farm in Invercagill hatte er in Whiskey umgesetzt. Jedenfalls hat Vater uns das Haus dann überlassen. War ein schönes Stück Arbeit, es wieder herzurichten«, erklärte Nora, während sie die Papiere durchforstete.
»Was haben wir denn da?«, fragte sie nun und deutete auf ein Dokument. »Das Haus hat ihm vor zwölf Jahren sein bester Freund, ein gewisser Christian Peters, vererbt. Hier steht es: Mein Letzter Wille. Weißt du, was das zu bedeuten hat?«
Kate war blass geworden. »Christian Peters war mein Großvater!«
»Und warum hat er ihm das Haus überlassen und nicht deiner Großmutter?«
»Keine Ahnung! Wenn da nichts steht ...«
»Was es auch immer zu bedeuten hat, ich halte es unter diesen Umständen für das Beste, dass du bis zu Bills Rückkehr bei uns lebst. Ich habe den Hass in Vaters Augen gesehen. Du darfst nicht allein auf Opoho bleiben!«
»Danke! Du bist wirklich lieb!« Kate atmete hörbar aus. »Wenn es euch wirklich nichts ausmacht, würde ich das Angebot nur zu gern annehmen.«
Nora führte sie in ein Zimmer im ersten Stock.
»Das war damals meins!«, raunte Kate gerührt.
In den folgenden Wochen war Nora nach Kräften bemüht, Kate den Aufenthalt in ihrer alten Heimat so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie zeigte ihr die Stadt, in der sich vieles verändert hatte. Dunedin sei längst nicht mehr die größte Stadt Neuseelands, sondern werde durch Städte im Norden an Bedeutung, Größe und Einwohnerzahl übertroffen, erklärte Nora.
Allmählich regten sich bei Kate vertraute Gefühle, und ferne Erinnerungen wurden wieder wach. Es war Sommer. Alles blühte, und über der Stadt lag jene frische, klare Luft, nach der Kate sich so lange gesehnt hatte.
Die beiden Frauen machten auch lange Spaziergänge an einsamen Stränden und atmeten die salzige Luft ein. Kate staunte nicht schlecht, als sie ihren ersten Königalbatros über sich schweben sah. Ein majestätischer Vogel mit Riesenschwingen. Wie ein Fabelwesen kam er Kate vor. Ganz besonders lieb gewann sie jedoch die kleinen Pinguine, die aus dem Wasser watschelten, um ihre Brutstätten an Land zu erreichen. Auch das hatte sie schon als Kind fasziniert. Alles war neu und doch so vertraut. So paradiesisch es auf Samoa auch gewesen war, Kate liebte das Raue und Wilde.
Als Nora sie eines Tages zu einem Rata führte, der mitten in der Natur in voller Blüte stand, spürte Kate bis in die Tiefen ihrer Seele, dass sie wieder in der Heimat war. Fasziniert betrachtete sie den Baum mit den roten Blüten, der bis in den Himmel zu reichen schien. »Samoa ist wie eine betörend duftende Blume, doch dieses Land ist wie ein blühender Eisenbaum«, raunte sie andächtig.
Doch so schön die Entdeckungen mit Nora und Peter auch waren, Kate sehnte den Tag herbei, an dem sie ihren Bill endlich wieder in die Arme schließen konnte.
Auf der Veranda in der Princes Street malte Kate ihr erstes Aquarell. Nora war entzückt von den Bildern. Und so wurde das Malen Kates Zeitvertreib. Auch Peter, Noras Ehemann, der sie ebenso herzlich wie seine Frau aufgenommen hatte, war begeistert von ihren Werken. Er war so angetan, dass er eine gute Bekannte, die Kunsthändlerin Martha O'Brian, zum Essen einlud, um sie ihr zu zeigen. Kate fand das zunächst etwas übertrieben. Sie betrachtete die Kunst nur als Beschäftigung für Mußestunden,
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