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Der Fluch der Maorifrau

Der Fluch der Maorifrau

Titel: Der Fluch der Maorifrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Walden
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wagte kaum zu atmen, weil sie die Freundin nicht unterbrechen wollte, die alle Strophen mehrmals wiederholte. Dabei entwickelte die schlichte Melodie zunehmend einen größeren Zauber.
    Erst als Judith verstummt und das letzte »Hine« verklungen war, fragte Sophie die junge Anwältin, was sie denn da gesungen habe.
    »Das ist ein Kinderlied in Waiata-Maori. Meine Großmutter hat es immer für mich gesungen.«
    »Und worum geht es darin?«, fragte Sophie sichtlich gerührt.
    »Das kleine Mädchen soll ruhig schlafen und nicht traurig sein. Weil genug Liebe für es da ist im Herzen seines Vaters. Das Lied hat eine Sängerin komponiert, die sich Princess Te Rangi Pai nannte. Ihre Mutter war eine Maori, ihr Vater ein Weißer. Sie hatte große Erfolge in England und auch in Australien, aber dann wurde sie krank und kehrte nach Neuseeland zurück. Nach dem Tod ihrer Mutter und ihres Bruders gab sie ihr Abschlusskonzert in Neuseeland und sang dieses Lied zum ersten Mal. Das war 1907.«
    Sophie wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Gesicht. Nur nicht heulen!, redete sie sich gut zu. Wenn jemand bei dem Lied Grund zum Weinen hat, dann ist es Judith, die aber ganz gelöst dabei wirkte.
    »Und ich meine, das Wort ›Hine‹ gehört zu haben. Was bedeutet das?«
    »Das heißt Mädchen.«
    »Judith, singst du es bitte noch mal? Es war so schön.«
    Judith lächelte Sophie an und ermutigte sie, mitzumachen. »Es ist ganz einfach. E tangi ana koe, Hine e Hine, E nge nge ana koe, Hine e Hine. Komm mach mit! Los!«
    Sophie fiel erst ganz zaghaft, dann voller Inbrunst ein, und schließlich sangen sie es gemeinsam.
 
    Judith' Großmutter war außer sich vor Freude, ihre Enkelin zu sehen. Warmherzig versicherte sie Sophie, dass Judith' Freunde auch ihre eigenen seien. »Nennen Sie mich Liz!«, forderte sie Sophie auf. »Elizabeth ist zu lang. Und Grandma zu altmodisch. Das sagt nicht mal meine Kleine.« Dabei tätschelte sie Judith' Wange.
    Sophie schätzte die alte Dame mit dem weißen Kraushaar und der gebräunten Haut auf weit über achtzig. Dennoch war sie eine überaus quirlige Person, die mit Händen und Füßen redete.
    »Geht hinaus auf den Balkon, ich bestelle ein Essen für euch beim Zimmerservice. Ach, schön, dass ihr da seid! Setzt euch, setzt euch!« Damit schob die rundliche Liz ihre Besucherinnen nach draußen. Auf dem Balkon mit Blick auf den See stand eine Staffelei, davor ein Kasten mit Aquarellfarben.
    Judith brach in schallendes Gelächter aus, als sie das Gekleckse auf dem Malblock näher betrachtete. »Du musst wissen, Großmutter versucht alles. Malen, töpfern, singen, sie besucht jede Menge Kurse. Großvater hat ihr genug Geld hinterlassen, und wenn sie es nicht spendet, bildet sie sich fort.«
    »Was erzählst du da über deine Großmutter? Das ist doch ein wahres Kunstwerk. Finden Sie nicht?«, fragte Liz Sophie mit verschmitztem Gesichtsausdruck.
    »Sag die Wahrheit! Liz durchschaut Schmeicheleien sowieso«, erklärte Judith lachend.
    »Gut, Mädels, wenn ihr mein Aquarell nicht mögt, dann macht es besser.«
    Mit diesen Worten drückte sie den beiden je ein Blatt von ihrem Zeichenblock in die Hand und forderte sie lachend auf, die malerische Aussicht über dem See einzufangen. Judith stöhnte genervt auf, aber Sophie legte das Blatt widerspruchslos vor sich auf einen Tisch und begann konzentriert zu malen. Sie war so in diese Tätigkeit versunken, dass sie nicht einmal merkte, dass der Zimmerservice das Essen brachte und Judith und ihre Großmutter sie beobachteten. Erst als ihre Szene fertig war, sah sie auf und blickte in verwunderte Gesichter.
    »Du bist ja eine echte Künstlerin!«, rief Judith bewundernd aus.
    »Nein, ich bin Kunstlehrerin«, wiegelte Sophie das Lob ab.
    »Es ist ganz wunderbar! Viel besser als das, was hier manchmal den Touristen angedreht wird«, schwärmte Liz, woraufhin Sophie ihr das Aquarell sogleich schenkte.
    »Kind, und womit kann ich mich erkenntlich zeigen?«
    Sophie lächelte. »Es gibt vielleicht etwas, womit Sie mir eine Freude machen könnten.«
    »Was immer Sie wollen!«, versprach Großmutter Liz und strahlte, während sie ihren Schatz vorsichtig nach drinnen trug.
    »Liz? Ich interessiere mich für die Makutus, die Flüche der Maoris. Und mich interessiert Ihre Meinung zu einem Fall, der mich sehr bewegt.« Täuschte sich Sophie, oder blickte Judith' Großmutter sie nun forschend an?
    »Wenn ich etwas dazu sagen kann, gern. Aber erst wollen wir mal

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