Der Fluch der Maorifrau
schubsen.
»Aber Bill John ist und bleibt mein Kind. Und kein Gericht der Welt würde es Ihnen zusprechen.«
»Oho!«, höhnte er. »Da sei dir mal nicht so sicher! Eine deutsche Spionin hat im Moment schlechte Karten.«
»Vater, damit kommst du nicht durch!«, rief Nora verzweifelt. »Ich würde vor dem Richter beschwören, dass Kate nur eine neuseeländische Mutter ist, die ihr Kind nicht den Fängen eines prügelnden Großvaters überlassen will. Geh weg von der Tür, und sei vernünftig! Lass sie in Frieden in diesem Haus leben.«
»Das Haus bekommt Jane, und die da wird noch zu Kreuze kriechen. Worauf du dich verlassen kannst. Sie wird mir meinen Enkel freiwillig geben. Ich werde sie aushungern und aus dem Land jagen. Sie wird noch froh sein, dass das Kind bei mir ein Dach über dem Kopf hat.«
Mit diesen Worten polterte er fluchend davon.
Nora fiel Kate erleichtert um den Hals und schluchzte: »Komm mit uns nach Europa, Kate! Wir werden in Edinburgh ein großes Haus haben. Und auch die Schotten werden deine Bilder mögen.«
»Aber Nora, der Krieg ist noch nicht zu Ende. Und so, wie es aussieht, werdet ihr noch ein wenig bleiben.«
»Wir können nicht mehr warten. Wir fahren noch in diesem Monat. Ich wollte es dir die ganze Zeit sagen, aber ich habe es nicht über mich gebracht. Und deshalb beschwöre ich dich: Komm mit! Vater wird dir das Leben zur Hölle machen! Glaube es mir! Jetzt, wo er weiß, dass du sein Geheimnis kennst. Sag, woher weißt du das eigentlich?«
»Meine Großmutter hat Tagebuch geschrieben.«
»Das wird er dir nie verzeihen!«, murmelte Nora.
»Schon möglich!«, entgegnete Kate. »Aber ich möchte, dass Bill John in Neuseeland aufwächst. Und ich habe doch noch Pakeha.«
»Das wird er dir auch noch nehmen«, prophezeite Nora traurig.
»Nein, Bill hat sich vor seiner Abreise von ihm unterschreiben lassen, dass Pakeha mir gehört, wenn ihm etwas zustößt. Wenn ihr abreist, werde ich mit dem Kleinen dort einziehen und zusehen, dass ich mit meinen Bildern den Lebensunterhalt bestreiten kann. Keine Sorge, Nora, ich bin stark. Ich schaffe das schon!«
Die Zeit bis zu Noras Abreise verging wie im Flug. Noch vor Weihnachten fingen die Varells zu packen an.
Kate bat Nora, sie ein letztes Mal nach Opoho zu begleiten, denn sie wollte ihre Sachen endgültig abholen. Es kostete ihre Schwägerin viel Überredungskunst, dass man sie überhaupt ins Haus ließ. Kate mit dem kleinen Bill auf dem Arm musste vor der Tür warten. Dabei bemerkte sie, wie sie aus dem ersten Stock beobachtet wurde. Paul schien einen heimlichen Blick auf seinen Enkel erhaschen zu wollen, zeigte sich jedoch nicht.
Der Abschied von Nora und Peter war schmerzhaft für Kate. Trotzdem ließ sie es sich nicht nehmen, die beiden zum Hafen zu begleiten. Sie drückte ihren Sohn noch fester an die Brust, nachdem das Schiff außer Sichtweite war. Dann kehrte sie in die Princes Street zurück. Peter hatte ihr geraten, so lange im Haus zu bleiben, bis Jane dort einziehen würde.
Als sie vom Hafen in die Princes Street zurückkehrten, erblickte Kate als Erstes einen Wagen, der voller Möbel war. Sie stutzte, doch dann traf sie im Haus ihre überaus geschäftige Schwägerin.
»Was tun Sie noch hier?«, fragte Jane bissig.
»Ich wusste nicht, dass das Haus so schnell den Besitzer gewechselt hat«, erwiderte Kate kalt.
»Sie haben eine Stunde Zeit, um Ihre Sachen auszuräumen. Dann will ich Sie und Ihr Blag nicht mehr sehen, verstanden?«
Wie betäubt packte Kate ihr Hab und Gut zusammen, während Bill selig schlief.
Ohne sich noch einmal umzuschauen, fuhr sie wenig später mit ihrem Gespann hinaus nach Pakeha. Sie erinnerte sich an die erste Fahrt dorthin. Mit Bill ... Kate spürte, dass ihre Wangen feucht wurden, doch sie trocknete die Tränen entschlossen mit dem Ärmel ihrer Bluse. Sie durfte nicht zurückschauen. Nur die Zukunft zählte!
Ocean Grove, 20. Januar 2008
Sophie schlich um die Aufzeichnungen herum wie die Katze um den heißen Brei. Seit drei langen Tagen hatte sie das Skript nicht mehr angerührt, denn Kates Schicksal war ihr so nahegegangen, dass sie sogar versucht gewesen war, John anzurufen. Ob ich glücklicher bin, wenn ich erst weiß, wer der Kerl ist, mit dem ich das Erbe teile?, fragte Sophie sich nun. Vielleicht ist die Wahrheit ja schmerzhafter als alle Spekulation.
Judith verbrachte das Wochenende bei ihrer Großmutter. Sie hätte ihre Freundin gern mitgenommen, aber Sophie hatte
Weitere Kostenlose Bücher