Der Fluch der Maorifrau
Grund zur Beunruhigung, sagte sie sich, denn seit Bill John auf seinen stämmigen Beinchen laufen konnte, begab er sich öfter auf Wanderschaft. Doch was sollte ihm hier schon passieren? Es gab keine wilden Tiere, das Wasser scheute er, und auch sonst war er eher ein vorsichtiges Kerlchen.
»Bill John!«, rief sie noch einmal und beschloss, im Garten zu suchen.
Sie hatte gerade ein Aquarell fertiggestellt und wartete auf Martha O'Brian, die ihre Bilder zum Verkauf mitnehmen wollte, da hörte sie Kindergeschnatter. Eine Stimme kannte sie allzu gut. Es war die von Bill John, die andere klang nach einem Mädchen. Kate reckte den Hals. Sie kamen vom Nachbargrundstück, wo erst kürzlich ein Strandhaus gebaut worden war.
Bill John winkte ihr lachend und holte seinen Ball. Das Mädchen sah wie eine kleine Prinzessin aus in seinem schneeweißen Kleid. Dazu trug es schwarze Stiefelchen. Kate schätzte die Kleine auf etwa anderthalb Jahre. Amüsiert beobachtete sie, wie Bill den Ball in ihre Richtung rollen ließ, den sie jedoch noch nicht fangen wollte. Das wäre ein Glücksfall, wenn Bill jemanden zum Spielen gefunden hätte, freute sich Kate, denn hier draußen war er viel zu oft allein mit ihr.
Da hörte sie den energischen Schritt von Martha O'Brian. Als Kate sich zu ihr umwandte, stutzte sie. Die stets hell und modisch gekleidete Kunsthändlerin trug Schwarz.
»Was ist geschehen?«, fragte Kate neugierig und geleitete Martha auf die Veranda.
Martha setzte sich in einen Sessel und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Guten Tag, Kate. Ich komme von einer Beerdigung. Die Frau eines Schafzüchters ist unter einen dieser modernen Wagen geraten und war sofort tot.«
»Wie schrecklich! Bill wollte sich auch so ein Monstrum kaufen. Ach, Martha, ich vermisse ihn immer noch so! Es vergeht kein Tag, dass ich nicht an ihn denke. Ich kann nur von Glück sagen, dass ich den Kleinen habe und das Malen, das mich ablenkt. Hast du wieder Aufträge für mich?«
Martha hüstelte verlegen, bevor sie hektisch hervorbrachte: »Es wird keine Bildverkäufe mehr geben.«
Kate sah Martha verständnislos an. »Wie meinst du das?«
»Wie ich es sage. Ich kann leider nichts mehr für dich tun!«
»Gefallen sie dir nicht mehr?«
»Oh doch, sie sind ausdrucksstärker denn je, aber ich musste es meinem Mann versprechen.«
»Deinem Mann? Was hat der denn mit meinen Bildern zu schaffen?«
»Seiner Firma geht es schlecht, und dein Schwiegervater hat ihm ein verlockendes Angebot gemacht. Er liefert ihm die Wolle zu einem günstigen Preis, wenn -«
»Wenn du im Gegenzug nicht mehr für mich arbeitest. Ich verstehe.« Vor Empörung sprang Kate so schnell von ihrem Stuhl auf, dass er umkippte.
Martha zuckte zusammen, behielt aber die Fassung: »Du verstehst gar nichts. Unsere Existenz steht auf dem Spiel. Und McLean hat Einfluss in dieser Stadt. Es tut mir ehrlich leid.«
»Spar dir dein Mitleid!« Mit diesen Worten lief Kate davon.
Sie rannte in den Nachbargarten, schnappte sich ihren Sohn und drückte ihn an sich. Dann setzte sie ihn behutsam ab und wanderte mit ihm zum Strand hinunter. Dort ließ sie sich in den warmen Sand fallen, während Bill John Muscheln sammelte. Es war das erste Mal seit seiner Geburt, dass Kate sich mut- und kraftlos fühlte. Aber als der Kleine voller Stolz seine Schätze vor ihr ausbreitete und sich auf ihren Schoß schmiegte, durchflutete sie die grenzenlose Liebe, die sie für ihren Sohn empfand. Sie durfte sich jetzt nicht entmutigen lassen. Es musste weitergehen. Für Bill John!
Plötzlich machte Bill John sich frei. Seine kleine Spielkameradin aus der Nachbarschaft lief über den Strand auf ihn zu.
»Wie heißt du denn eigentlich?«, fragte Kate die Kleine.
»Sie heißt Christine, nach meiner Mutter«, antwortete eine Frauenstimme in ihrem Rücken.
Kate fuhr herum. Eine blasse junge Frau mit einem ausladenden Sonnenhut lächelte sie an. »Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken. Wir sind Ihre neuen Nachbarn. Christine leidet seit Geburt unter Hustenattacken, sodass der Arzt uns geraten hat, mit ihr am Meer zu leben. Mein Mann hat dann das Haus bauen lassen. Er arbeitet in der Woche in Dunedin und kommt nur am Wochenende her. Oh, Verzeihung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Emma Cramer.«
»Kate McDowell.« Damit streckte Kate der Nachbarin die Hand entgegen.
»Aber das weiß ich doch schon. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus. Sie sollen eine großartige Künstlerin sein«, sagte Emma
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