Der Fluch der Maorifrau
Mary einen Wunsch abzuschlagen. Sie hatte ein gewinnendes Wesen, und man konnte ihr schlecht widersprechen. Ihren eisernen Willen versteckte sie hinter ihrem Charme.
Mary war es auch gewesen, die Anna ein schottisches Hausmädchen besorgt hatte, das sie ihr mit den Worten »Wie gut, dass diese dunkle Frau aus eurem Haus fort ist!« angedient hatte. In Momenten wie diesen wurde Anna wieder schmerzhaft an Hine erinnert. Sie hatte sich selbst untersagt, an die Maorifrau zu denken. Denn sie hatte erkannt: Solange Hine ihr Denken beherrschte, würde sie, Anna, niemals ein eigenes Leben in Dunedin beginnen können. Wenn jemand über Hine sprach, merkte Anna allerdings, wie dünn die Decke des Vergessens war. Zum Glück geschah das selten.
Mary bestellte eine Kutsche, die sie zu ihrem bezaubernden Heim brachte, das Anna stets vor Neid erblassen ließ. Das Haus schien Anna von außen wie eine kleine Burg, aber Mary pflegte Annas ehrliche Bewunderung stets mit einem schlichten »Es ist einfach schottisch!« zu dämpfen. Auch innen war alles prächtig gestaltet. Kronleuchter, üppige Möbel, edles Mahagoni, wohin das Auge blickte.
Anna fand nicht nur das Haus, sondern auch ihre Freundin außergewöhnlich hübsch. So hübsch, dass sie sich selbst eher unscheinbar vorkam. Und das, obwohl ihr die Kavaliere in Hamburg oft zu verstehen gegeben hatten, dass sie schön sei. Besonders für ihre dunkelblonden Naturlocken hatte sie viele Komplimente geerntet. Aber Tante Margarete hatte stets betont, sie sei viel zu dürr, um als hübsch zu gelten. Mary hingegen war eine üppige rothaarige Schönheit mit einem ebenmäßigen blassen Teint mit einer auffälligen Wirkung auf Männer, worüber sich die lebensfrohe Schottin offensichtlich nur amüsierte, denn sie hatte allein Augen für ihren John.
Das konnte Anna nur zu gut verstehen. Sie wurde jedes Mal ein wenig verlegen, wenn sie Marys gut aussehendem Mann begegnete.
John McDowell war hochgewachsen, hatte schwarzes Haar, eine gerade Nase, wache Augen, ein kantiges Gesicht und sprühte nur so vor Charme. Dabei blieb er im Gespräch nicht an der Oberfläche, sondern sagte zu allem und jedem wirklich kluge Dinge. Obwohl er ein erfolgreicher Anwalt mit der nötigen Härte war, besaß er eine ungewöhnlich warmherzige Ausstrahlung.
Mary ist zu beneiden!, dachte Anna seufzend. Vor allem, weil sie einen Mann geheiratet hat, den sie wirklich liebt. Wahrscheinlich heißt sie ihn sogar auf ihrer Bettseite willkommen. Manchmal war Anna versucht, Mary ihr Leid zu klagen, aber eine innere Stimme warnte sie davor, ihrer Freundin anzuvertrauen, wie sehr sie Christians körperliche Annäherungen verabscheute. Einmal abgesehen davon, dass es unschicklich war, über solche Angelegenheiten zu sprechen.
»Hast du etwas auf dem Herzen? Du schaust so grüblerisch. Dann sag es nur!«, forderte Mary Anna jetzt auf, als sie im Salon ihres Hauses den Tee tranken.
Anna schüttelte den Kopf. »Es ist nichts weiter. Ich dachte nur daran, wie Christian es aufnehmen wird, wenn ich ihm sage, dass ich in anderen Umständen bin.«
»Er wird trunken sein vor Glück«, versicherte Mary ihr und bat sie, noch ein wenig zu bleiben.
Anna gab vor, es nicht erwarten zu können, Christian endlich von ihrer Schwangerschaft zu berichten. Dabei wollte sie nur allein sein. Das geballte Glück ihrer Freundin war ihr in diesem Augenblick einfach zu viel. Anna fragte sich tief in ihrem Herzen, ob sie das Bild einer heilen Familie nach außen wohl würde aufrechterhalten können, wenn das Kind erst geboren war. Sie liebte dieses Wesen, das in ihr heranwuchs, schon jetzt mit einer Heftigkeit, die wehtat.
Als sie in der Kutsche saß, hing Anna immer noch ihren düsteren Gedanken nach. Sie mochte Mary sehr, aber es wäre keine gute Idee, ihr den Kummer ob ihrer unglücklichen Ehe oder gar das Geheimnis der Nebelfee anzuvertrauen. Mit Erstaunen hatte Anna inzwischen festgestellt, dass die Leute Christian mochten und für einen integren und überaus zuverlässigen Menschen hielten. »Dein Mann hat etwas von einem Wikinger. Er wirkt so stark und männlich!«, hatte Mary Anna neulich bewundernd zugeraunt. Wenn sie bloß wüsste!, dachte Anna niedergeschlagen. Je mehr sie sich der Siedlung mit den Holzhäusern näherten, desto schwerer wurde ihr ums Herz. Sie fürchtete sich davor, in ihr karges Heim und zu ihrem ungeliebten Mann zurückzukehren.
Anna erzählte Christian an diesem Abend nicht von dem Kind. Wie so oft saßen sie
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