Der Fluch der Maorifrau
sich am Tisch stumm gegenüber. Paula konnte kochen, was sie wollte, Freude wollte bei den Mahlzeiten niemals wirklich aufkommen. Sosehr Christian sich auch seit jener entsetzlichen Nacht bemühte, ein guter Ehemann zu sein, es entwickelte sich trotzdem keine Nähe zwischen ihnen. Außerdem war Christian kein Mann der großen Worte. Wenn er von sich aus redete, dann am liebsten über seine Geschäfte, ein Thema, das Anna nicht sonderlich interessierte. Christian wirkte an diesem Abend allerdings noch abwesender als sonst. Er würde mit Sicherheit kein Ohr für den Zustand seiner Frau haben. Das jedenfalls redete sich Anna ein, denn sie wollte das Kind noch ein wenig für sich allein haben. Auch wenn sie wusste, dass Christian der Vater war, so hatte sie doch das Gefühl, es würde nur ihr gehören und nicht diesem wortkargen Hünen, der ihr schmatzend gegenübersaß.
Am nächsten Tag, an einem wunderschönen Herbstnachmittag, saßen die beiden Freundinnen unter einem Sonnenschirm auf Marys Veranda. In Hamburg fängt jetzt bald der Frühling an, dachte Anna, während sie den immer noch üppig blühenden Garten betrachtete. Ihr Blick blieb an fremdartigen grünen Bäumen hängen, die rund um den künstlich angelegten Teich wuchsen.
Mary war eine aufmerksame Gastgeberin und folgte dem Blick der Freundin.
»Du solltest die mal im Dezember sehen. An Weihnachten blühen die Rata, die Eisenbäume, in einem Rot, dass es eine wahre Freude ist.« Dann beugte sich die Freundin zu Anna herüber und raunte verschwörerisch: »Und, was hat er gesagt?«
»Ich habe ihn gestern gar nicht gesehen!«, antwortete sie ausweichend und setzte schnell hinzu: »Es ist so schön hier!«
»Dann wirst du erst über unser neues Haus staunen«, erklärte Mary übermütig und schilderte der Freundin nun ohne Pause, wie atemberaubend schön es werden würde. Dabei schwärmte sie in den höchsten Tönen von den Entwürfen des Architekten Robert Arthur Lawson, dessen Entwurf für die presbyterianische Kirche kurz zuvor die Ausschreibung für das Gotteshaus gewonnen habe. Dabei aßen sie köstliche Plätzchen, die Mary selbst gebacken hatte, und tranken Tee.
Anna hörte nur mit halbem Ohr zu. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Marys Sohn Timothy, der wild durch den Garten tobte. Er rannte auf stämmigen Beinchen von Blume zu Blume, um Schmetterlinge zu jagen. Anna konnte den Blick gar nicht von diesem süßen Geschöpf wenden und hoffte insgeheim, dass sie auch so einem properen blonden Lockenkopf das Leben schenken würde.
Nun hielt Mary in ihrer Schwärmerei inne, legte die Hand zärtlich auf den Bauch und flüsterte: »Ich werde dir ein Geheimnis verraten. Ich glaube, Timothy bekommt ein Geschwisterchen!«
Schon fielen sich die Freundinnen in die Arme und stellten sich nun in allen Einzelheiten vor, wie ihre beiden Kinder später einmal zusammen spielen würden. In dem Park hinter Marys neuem Haus oder aber in dem Garten, der oben auf dem Berg einen Blick über die Bucht bot und einmal zu Annas Anwesen gehören würde. Die Aussicht, dass die Freundin auch ein Baby erwartete, ließ Anna ihren Kummer eine Weile vergessen.
»Deine Wangen sind ganz rosig geworden«, rief Mary begeistert aus. »Das steht dir gut!«
Anna lächelte über das ganze Gesicht. Vielleicht wird doch noch alles gut, wenn wir erst zu dritt und umgezogen sind, dachte sie voller Zuversicht.
Als John heimkehrte und seiner Frau im Vorbeigehen zärtlich über die roten Locken strich, schwand Annas Hoffnung jedoch wieder. Ihr war plötzlich zum Weinen zumute. Ihr würde in diesem Leben niemand eine solch innige zärtliche Geste schenken. Kein Mann würde sie je so berühren. Nein, sie würde alle Zärtlichkeit, die sie in sich trug, allein ihrem geliebten Kind zuteil werden lassen. Sanft strich Anna über ihren Bauch. Heute würde sie es endlich Christian mitteilen, bevor er es von anderen erfuhr. Bald würden es die Spatzen von den Dächern pfeifen.
Dunedin, Oktober bis Dezember 1863
Anna stand kurz vor der Niederkunft und konnte sich nur noch schwerfällig bewegen. Wie ein gefüllter Sack, der nach Entladung drängte, fühlte sie sich mit ihrem geschwollenen Leib. Das Gute an ihrem Zustand war, dass ihr Mann sie kein einziges Mal mehr angerührt hatte. Der Austausch von Zärtlichkeiten jenseits des Ehebettes, wie Anna sie zwischen Mary und John beobachtet hatte, war ihm völlig fremd. Ihr war es nur recht. Sie verspürte nicht das geringste Bedürfnis, dass
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