Der Fluch der Maorifrau
Sie gönnte ihm ein neues Glück, doch, ja, schließlich liebte sie ihn so sehr, aber es zerstörte alle ihre heimlichen Träume.
»Lucy ist eine sehr mütterliche und warmherzige Frau. Sie tut mir gut. Ich empfinde nicht das innere Beben, wie es mich immer wieder erschüttert, wenn ich dich wiedersehe, Anna. Aber sie kann mir die Geborgenheit, die Ruhe geben, nach der ich mich sehne. Ich bin mir in letzter Zeit wie ein hungriger Hund vorgekommen, der nur darauf wartet, ein kleines Stück vom Knochen zu bekommen. Ein Lächeln von dir, ein liebes Wort ... Dabei tat es mir jedes Mal unendlich weh, dass ich nicht mehr von dir haben konnte. Anna, ich bin doch auch nur ein Mann, und ich kann so nicht weiterleben.«
Jetzt sah Anna John fest in die Augen: »Ich glaube, wenn du mich darum gebeten hättest, dir alles zu geben, ich hätte es getan. Ich hätte meinen Mann betrogen, nur um einmal in deinen Armen zu liegen.«
»Anna, sag so etwas nicht! Niemals hätte ich dich in dieser Weise entehrt!« John nahm ihr Gesicht in beide Hände und wollte es küssen, aber sie war schlagartig wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen, als sie Christian am Gartentor sah.
»Ich wünsche dir alles Gute, John!«, raunte sie, während sie vor seiner Berührung zurückwich. Beim Anblick seines völlig verwirrten Blickes fügte sie leise hinzu: »Ich meine es ernst. Wir beide, das ist ein unerfüllbarer Traum. Klara braucht ihren Vater.« Mit diesen Worten stand sie auf und ging ihrem Mann entgegen. Sie hakte ihn unter, was er sich widerspruchslos gefallen ließ, und führte ihn zu einem der Korbsessel.
Ächzend ließ er sich fallen, bevor er John mit den Worten »Na, alter Knabe, was macht die Politik?« jovial begrüßte.
Anna atmete auf. Sein Gang hatte bereits geschwankt wie der eines Seebären, aber zu ihrer großen Erleichterung sprach er noch klar und deutlich. »Stell dir vor, unser Freund zieht ganz nach Wellington und wird heiraten!«, sagte sie schnell.
»Wer ist denn die Glückliche?«, fragte er sichtlich neugierig.
John räusperte sich: »Sie heißt Lucille, ist die Tochter schottischer Einwanderer und die Schwester eines Mitabgeordneten.«
»Ist sie hübsch?«
Anna stockte der Atem. Spätestens nach dieser indiskreten Frage würde John ahnen, wie betrunken ihr Mann bereits war, aber er ließ sich nichts anmerken.
»Sie ähnelt vom Typ her Mary ein bisschen«, erwiderte John ausweichend, nach Kräften bemüht, dass sich sein Blick nicht mit dem von Anna kreuzte.
»Dann nimmst du uns wohl den Jungen?« In Christians Stimme lag Bedauern.
»Ich kann euch nicht länger zumuten, mein Kind aufzuziehen«, erklärte John.
»Das haben wir sehr gern getan«, widersprach Anna ihm, und Christian nickte zustimmend. »Hast du es ihm schon gesagt?«, fügte sie hinzu.
»Nein, ich wollte es erst euch beiden mitteilen.«
In diesem Augenblick kamen die beiden Kinder angerannt. Timothy wie immer ein paar Meter hinter seiner Freundin, die mit einem Satz ihrem Vater auf den Schoß gesprungen war und ihn nun kräftig umarmte. Timothy hingegen stand etwas verlegen da.
»Mein Junge!«, rief John beglückt aus.
»Guten Tag, Papa!«, antwortete Timothy artig und schmiegte sich dabei an Anna.
Jetzt erst traute sie sich, John wieder anzusehen, und der Schmerz in seinem Gesicht traf sie wie ein Messerstich. Es fällt ihm auch nicht leicht, Timothy hier herauszureißen, dachte sie ein wenig versöhnlicher. Es ist doch ein Segen, dass dieser Junge wieder eine Mutter bekommt und für ihn ein Geschenk, eine Frau zu lieben, versuchte der Verstand ihr einzureden. »Bleibst du zum Abendessen?«, fragte sie freundlich.
John lehnte die Einladung zunächst ab, doch Timothy bettelte so lange, bis John klein beigab. Der Junge rang seinem Vater schließlich sogar die Erlaubnis ab, in der Princes Street bei Klara zu übernachten.
Während die Männer miteinander plauderten und Paula das Essen zubereitete, brachte Anna die Kinder ins Bett. Die beiden waren so erschöpft, dass sie bereits bei den ersten Zeilen einschliefen, die Anna ihnen vorlas. Wehmütig betrachtete sie die Pausbäckchen des friedlich schlafenden Timothys. Es wird sicher nicht ganz einfach für ihn werden, in einer anderen Welt zu leben. Besonders ohne Klara!, dachte sie und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
Anna zog sich zum Abendessen noch einmal um. Sie durchschaute sich selbst und wusste genau, warum sie das tat, auch wenn ihr das eigene Motiv ganz und gar
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