Der Fluch der Maorifrau
dir im Hotel noch eine Nummer zu schieben, und die dann deinem Flugzeug nach Neuseeland nachwinken durfte. Die Frau, die jetzt in ihre Kissen weint, aber Nacht für Nacht hofft, dass du dich doch noch für sie entscheidest und nicht diese andere heiraten wirst!«, entgegnete Sophie ungerührt.
Wie von der Tarantel gestochen, sprang Jan auf. Er lief ins Bad, brüllte: »So einen Unsinn muss ich mir nicht länger anhören!«, und knallte die Tür hinter sich zu.
Sophie rührte sich nicht. Sie hatte ins Schwarze getroffen. Seine Reaktion war gar nicht anders zu deuten. Eigentlich müsste ich am Boden zerstört oder zumindest wütend sein, dachte sie, aber ihr Herz blieb seltsam kalt. Im Gegenteil, sie war erleichtert, dass sie durch ihre klaren Worte endlich etwas bewegt hatte und die Fassade zu bröckeln begann.
Dennoch war sie fest entschlossen, mit ihm nach Deutschland zurückzukehren. Aber wenn er sie heiraten wollte, musste er sein Verhältnis zu Sandra beenden. Genau das würde sie morgen früh von ihm verlangen. Was hatte Emma immer gesagt? Die Liebe verzeiht beinahe alles! Und Emma hatte Klaas über alles geliebt. Das jedenfalls hatte Sophie ihr Leben lang angenommen. Ob es wirklich so war, werde ich vielleicht niemals erfahren bei der Geheimniskrämerei, die meine Mutter veranstaltet, dachte Sophie missmutig.
So lag Sophie an diesem Abend im dunklen Hotelzimmer wach und hing ihren Gedanken nach. Der Mann, der inzwischen wieder neben ihr lag und in einen tiefen Schlummer gefallen war, schien ihr unendlich fern. Und mit jedem Gedanken an all die Geheimnisse ihrer Familie entfernte sie sich nur noch mehr von ihm, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Anna, die dramatische Fehlgeburt, Emmas Erbe, alles war ihr näher als der Mann, den sie zu heiraten gedachte. Ganz flüchtig fiel ihr John ein. Keine Frage, sie hätte sich ihren leidenschaftlichen Gefühlen hemmungslos hingegeben, wäre Jan nicht gekommen.
Sophie war viel zu aufgewühlt, um zu schlafen. Deshalb knipste sie das Licht wieder an, und sie griff nach dem Manuskript auf ihrem Nachttisch.
Wirklich nur noch ein paar Seiten, redete sich Sophie gut zu. Ein Blick auf ihren Wecker zeigte ihr, dass es drei Uhr morgens war. Sie lauschte. Außer Jans Schnarchen war es gespenstisch still.
Wenn ich die Gewissheit habe, dass es Anna gut geht, dann höre ich auf und rühre das Ding nie mehr an, beschloss Sophie.
Dunedin, im Oktober 1880
Anna saß im Modesalon der Schneiderin Charlott Campbell und wartete darauf, dass sich Klara in einem Kleid zeigte, das die Schneiderin ihrer Tochter empfohlen hatte.
Mister Hoang war nach China zurückgekehrt, was Anna sehr bedauerte. Charlott Campbell konnte zwar nähen, aber sie hatte sich als allergrößte Klatschtante Dunedins entpuppt. Im Vergleich zu ihr waren selbst Emily Brown und ihre immer noch nicht wieder verheiratete Schwester diskrete Personen.
»Kommt John McDowell auch zum Geburtstag Ihrer Tochter?«, fragte die Campbell nun lauernd. »Man munkelt ja, seine Frau sei gar nicht so hübsch und könne seiner verstorbenen Frau Mary, die ich ja nun leider nicht mehr kennengelernt habe, nicht das Wasser reichen.«
»Sie ist bildhübsch!«, entgegnete Anna scharf und signalisierte damit, dass dieses Gespräch für sie beendet war.
»Das habe ich mir ja nicht ausgedacht. Das sind Missis Browns Worte«, ergänzte die Schneiderin nun schnippisch und fügte neugierig hinzu: »Dieses Jahr wird bei Ihnen ja wohl ganz groß gefeiert.«
»Dem Anlass entsprechend«, erwiderte Anna knapp und blickte stur in Richtung Garderobe. Wie lange brauchte Klara denn noch?
Klaras siebzehnter Geburtstag sollte in der Tat mit einem rauschenden Fest begangen werden. Anna und Paula hatten mit den Vorbereitungen seit Wochen alle Hände voll zu tun.
Und zu diesem Anlass sollten unbedingt neue Kleider angeschafft werden. Eines für Anna, eines für Klara. Das hatte Christian ausdrücklich angeordnet. Er verdiente mit seiner Arbeit nicht gerade schlecht, aber doch ungleich weniger als in den ersten Jahren bei Wortemann. Es genügte für einen gehobenen Lebensstandard, der wiederum ausreichte, um in der feineren Gesellschaft von Dunedin mitzuhalten. Zum Glück hatte er das Haus in der Princes Street noch zu besseren Zeiten gekauft, sodass Anna wenigstens sicher war, immer ein Dach über dem Kopf zu haben.
Gelangweilt sah Anna sich im Salon um. Ihr Blick blieb bei den Ballkleidern hängen. Eines davon könnte durchaus etwas für
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