Der Fluch der Maorifrau
Platz genommen hatten.
»Sie können mich jederzeit anrufen, wenn Sie es sich doch noch anders überlegen sollten«, bot John ihr nun an, und es war ihm anzusehen, dass er sich vollkommen hilflos fühlte.
»Vielen Dank!«, erwiderte Sophie mechanisch.
John trat verlegen von einem Bein auf das andere. »Sophie!«, brachte er schließlich hervor, »Mein Bruder ist Arzt, und vielleicht wäre es vernünftig, wenn er Ihnen ein leichtes Beruhigungsmittel geben würde.«
»Ich bin doch ganz ruhig!«, erwiderte sie tonlos.
John seufzte.
»Möchten Sie reinkommen? Ist es das, was Sie wollen?«, fragte Sophie.
»Nein. Ich weiß, dass ich diese Frage zu einem anderen Zeitpunkt bejaht hätte, aber jetzt stehe ich hier nur aus einem einzigen Grund: Ich habe Angst um Sie! Sehen Sie, als mein Vater gestorben war, da reagierte meine Mutter, die sonst überaus gefühlvoll ist, ähnlich verstört wie Sie. Beinahe hätte ich sie in ihrem Haus allein gelassen, weil ich vermutete, sie trage das alles mit Fassung, doch dann brach sie zusammen. Mein Bruder meinte, es war eine Art Schock, der sich mit Verspätung entladen hat. Zum Glück war ich noch bei ihr. Und ich möchte nicht, dass es bei Ihnen ähnlich verläuft und Sie niemanden haben, der Ihnen beistehen kann.« Mit diesen Worten streichelte er ihr zärtlich über die blassen Wangen.
Es waren nicht seine Worte, die ihren inneren Eispanzer zum Schmelzen brachten, sondern diese zarte, unschuldige Berührung. Tränen schossen Sophie aus den Augen. Sie schaffte es gerade noch, die Zimmertür aufzuschließen und John hereinzubitten, als sie in lautes Schluchzen ausbrach. John nahm sie sanft in den Arm und wiegte sie wie ein Kind tröstend hin und her.
Sophie erinnerte sich nicht, jemals im Leben so herzzerreißend geschluchzt zu haben. Nicht einmal bei der Beerdigung ihres Vaters. Ein Weinkrampf löste den nächsten ab. Dabei wirbelte in ihrem Kopf alles wild durcheinander. Sie weinte um Emma und um ihren Vater Klaas. Dabei empfand sie in Johns Arm eine Geborgenheit, die sie noch niemals zuvor empfunden hatte. Sie hatte keinerlei Scheu, in seiner Gegenwart dem Schmerz nachzugeben und sich den Kummer von der Seele zu weinen.
Tränenüberströmt löste sie sich nach einer halben Ewigkeit aus seiner Umarmung und wandte ihm das Gesicht zu.
Ich möchte mich heute Nacht in seine Arme kuscheln, dachte Sophie, als es an der Tür klopfte.
Verwirrt öffnete sie. »Du?«, entfuhr es ihr.
»Na, das ist ja eine nette Begrüßung für einen armen Mann, der für seine zukünftige Frau um die halbe Welt geflogen ist, um mit ihr ins neue Jahr zu feiern!«, erklärte Jan lachend und trat ein. Da erblickte er den fremden Mann, der auf der Kante des Hotelbettes hockte, und er warf ihm einen betont feindseligen Blick zu.
John erhob sich hastig, reichte der überrumpelten Sophie die Hand und raunte: »Vielleicht rufen Sie noch mal kurz in der Kanzlei an, bevor Sie nach Deutschland zurückfliegen. Ich brauche noch ein paar Anweisungen. Zum Beispiel, wohin Ihr Erbanteil gehen soll. Auf Wiedersehen, Sophie!« Dabei scheute er sich nicht, ihr tief in die Augen zu sehen.
Sie verspürte den Impuls, John aufzuhalten, aber er machte einen zum Gehen entschlossenen Eindruck.
Obwohl Jan ihn mit äußerster Skepsis beäugte, vergaß John seine gute Erziehung nicht und grüßte auch den Deutschen zum Abschied, wenn auch nur sehr knapp.
Jan dagegen blieb stumm und stierte hinter John her, bevor er sich umdrehte und in strengem Ton fragte: »Was war denn das?«
»Mein neuseeländischer Anwalt, der die Beerdigung meiner Mutter nicht nur organisiert, sondern mich zusammen mit seiner Kollegin auch dorthin begleitet und mich gerade getröstet hat, weil ich von Heulkrämpfen geschüttelt wurde«, erwiderte Sophie in scharfem Ton und überlegte noch, ob sie John folgen und sich zumindest bei ihm bedanken sollte.
Doch da forderte Jan bereits vorwurfsvoll: »Ein bisschen mehr Freude über die gelungene Überraschung könntest du ruhig zeigen!« Mit diesen Worten ließ er sich bäuchlings auf ihr Bett fallen und stöhnte: »Das war vielleicht ein langer Flug. Meine Güte! Wie gut, dass wir jetzt noch vier Tage Zeit haben, bis unser Rückflug geht.«
»Was soll das heißen?«, fragte Sophie, obwohl sie bereits ahnte, was Jan ihr damit sagen wollte.
Statt ihr eine Antwort zu geben, griff Jan in die Tasche seines perfekt sitzenden Jacketts und holte zwei Tickets hervor. Mit den Worten »Mein Weihnachtsgeschenk!«
Weitere Kostenlose Bücher