Der Fluch der Schriftrollen
und hatten wenig
Gelegenheit, zu sparen.
Als wir heranreiften und das
Knabenalter hinter uns ließen, wurde die Freundschaft zwischen Saul und mir
noch enger, noch inniger und noch kostbarer. Wir schliefen zusammen, aßen
zusammen und studierten das Gesetz zusammen. Ich kannte jeden seiner Gedanken,
und er kannte die meinen. Und dennoch bemerkten die Leute oft, daß wir so
verschieden seien wie Tag und Nacht. Mit sechzehn war Saul der größte Mann, den
ich kannte, und überragte die Köpfe der Priester und Schriftgelehrten, wenn wir
uns im Tempel versammelten. Er hatte breite Schultern und eine massige Brust,
kräftige Arme und Hände von unglaublicher Stärke. Sein dunkelbraunes Haar war
drahtig und gelockt, und sein Bart war noch dicker und voller als der von
Eleasar. Viele hielten Saul für viel älter, als er in Wirklichkeit war.
Ich dagegen war von
leichterem Körperbau, wenn auch keinesfalls schwach. Meine Arme waren schlank,
aber durch das Wassertragen kräftig geworden. Mein Körper war ebenso schlank
und dennoch kräftig, und ich belehrte viele, die mich wegen meines Hinkens für
einen Schwächling hielten, eines Besseren. Mein Haar war schwarz, schwärzer als
der Boden eines Brunnens, und ebenso dunkel waren meine Augen. Eleasar bemerkte
einmal, ich habe die großen, melancholischen Augen eines Propheten oder
Dichters. Und gleich darauf schüttelte er traurig den Kopf, als wüßte er etwas,
das ich nicht wußte. Mein Kopfhaar war lang und gewellt und fiel mir auf die
Schultern hinab. Das Haar in meinem Gesicht war dagegen spärlich, und wenn ich
es mit Sauls Bart verglich, fürchtete ich, daß es wohl niemals so eindrucksvoll
würde. Eleasars Frau Ruth hatte oft von uns als ihren tüchtigen Jungen
gesprochen, und ich glaube, sie mochte uns auf eine ganz besondere Weise. Saul
und mich sah man niemals getrennt; ihn, den Lauten und Lachenden, mich, den
Stillen und in sich Gekehrten. Sie verglich uns mit den Königen Saul und David
und meinte, daß der Tag kommen werde, an dem Prinzessinnen um unsere Gunst
wetteiferten.
Diese Bemerkung machte mich
verlegen, denn anders als Saul, der schon ein offenes Auge für die Mädchen
hatte, war ich zu schüchtern, um auch nur zu einem weiblichen Wesen aufzusehen.
Wenn wir am Morgen oder am späten Nachmittag durch die Straßen liefen, kamen
wir regelmäßig an Gruppen von jungen Frauen vorbei, die auf dem Markt ihre
Einkäufe verrichteten. Sie lächelten uns zu und schlugen dann sittsam die Augen
nieder. Trotzdem ertappte ich jedesmal die eine oder andere von ihnen dabei,
wie sie Saul bewundernd anschaute.
Es kam die Zeit, da ich nicht
länger Wasser vom Brunnen holen mußte. Ich war erleichtert und traurig
zugleich, denn obgleich ich nicht mehr diese erniedrigende Frauenarbeit
erdulden mußte, so blieb mir nichtsdestoweniger meine kleine Einnahmequelle von
nun an versagt.
Saul schien sich nichts aus
Geld zu machen und auch keines zu benötigen. So sparte er seine paar Schekel
nie. Ich dagegen erkannte in Geld Sicherheit und war davon überzeugt, daß der
Tag käme, da sich meine Genügsamkeit bezahlt machen würde. Dieser Charakterzug
stand natürlich in direktem Zusammenhang mit dem, was später geschehen sollte,
und wäre ich nicht von einer solchen Denkweise durchdrungen gewesen, so wäre
meine Geschichte möglicherweise ganz anders verlaufen. Und ich würde heute
nicht hier in Magdala sitzen und dies für Dich niederschreiben, mein Sohn. Doch
so war ich nun einmal, und so mußte mich der Lauf meines Schicksals zu der
Stunde führen, über die ich Dir berichten muß.
Doch laß mich zuvor noch
einmal die süßen Tage meiner Jugend in Jerusalem durchleben.
Über meine Sparsamkeit sagte
Eleasar einmal zu mir: »David Ben Jona, würde ich dich in die Straßen
hinausschicken, um den Mist von Pferden und Eseln mit einer Schaufel
einzusammeln, so würdest du einen Weg finden, es zu einem einträglichen
Geschäft zu machen.« Er sagte dies halb im Spaß, halb ernst. »Du bist einer
meiner besten Schüler des Gesetzes«, fuhr er fort, »mit deinem scharfen
Verstand und deiner Klugheit. Und doch frage ich mich zuweilen, ob du für
Israel kein größerer Gewinn wärst, wenn du Geldverleiher würdest oder einem
anderen Gewerbe nachgingest.« Diese Betrachtung hatte mich so sehr entsetzt,
daß ich ebenso niedergeschlagen war, als hätte er mich gezüchtigt. »Verzeihe
mir, David«, sprach er weiter, »aber du solltest das nicht als Beleidigung,
sondern als Kompliment
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