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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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selbst sagen. »Ich
kann nicht erklären, was es ist, aber es gibt in meinem Leben keinen Platz mehr
für irgend etwas anderes als diese Schriftrollen. Ich muß Davids Worte lesen.
Er verlangt nach mir.«
    »Und ich verlange auch nach
dir, Ben. Mein Gott, was geschieht nur mit dir?«
    Doch er mußte von ihr
weggehen. Er hatte David Ben Jona am Rande des Selbstmords inmitten von Elend
und Hoffnungslosigkeit verlassen, und Ben mußte zu ihm zurückkehren. Das
Bedürfnis, immer weiter zu lesen, wurde übermächtig. Er konnte sich Davids
Einfluß nicht widersetzen.
    Ben ließ sich wieder an
seinen Schreibtisch nieder und wandte sich den aramäischen Buchstaben zu. Er
hörte nicht mehr, wie Angie leise die Wohnung verließ.
    Am oberen Rand des nächsten
Fotos stand: »Mein Unglück läßt sich nicht mit Worten beschreiben.« Dann
schilderte David seine Einsamkeit und Verzweiflung, als er durch die Straßen
Jerusalems irrte, ohne einen Freund, ohne einen Ort, wohin er gehen konnte, und
– was das Schlimmste war – von Gott verlassen.
     
     
    »Wegen eines Augenblicks der
Schwäche verlor ich alles, wonach ich gestrebt hatte; brachte Schande über mich
und meine Familie, verlor die Frau, die ich liebte, und wurde von Gott
verlassen. Konnte es ein erbärmlicheres, verachtenswerteres Geschöpf geben als
mich?«
    An dieser Stelle legte Ben
seinen Kopf auf die Arme und schluchzte. Er weinte, als ob er selbst derjenige
gewesen wäre, der einsam und allein, ohne Familie oder Freunde, durch die
Straßen Jerusalems irrte, der Schande über den Namen seines Vaters gebracht
hatte und von seinen Lieben verstoßen wurde; als ob er, Ben Messer, dafür
verantwortlich wäre, daß ihm Gottes Liebe nunmehr versagt blieb. Es riß ihm
Herz und Seele aus dem Leib. Ihm war übel, kalt und hundeelend. Indem er David
Ben Jonas Leid auf sich nahm, durchlebte Ben Messer noch einmal jenen
schrecklichen Tag vor zweitausend Jahren.
    Und als er
die Last von Davids Not schließlich nicht mehr länger ertragen konnte, sprang
er mit einem Satz auf und stolperte blind zum Telefon. Er wählte, ohne
nachzudenken, und als sie antwortete, sagte er in einer Stimme, die nicht seine
war: »Judy, kommen Sie bitte. Ich brauche Sie…«

 
    Kapitel Zehn
     
     
     
    Mein Unglück
läßt sich nicht mit Worten beschreiben. Hatte es je zuvor eine elendere Kreatur
als mich gegeben, eine solche Schande für die Menschheit? In meiner Trunkenheit
hatte ich der Thora den Rücken gekehrt und ihre Gesetze entweiht. So war es
jetzt nur gerecht, wenn Gott sich von mir abwandte. Wie betäubt wanderte ich
durch die Straßen und klammerte mich an das kleine Bündel mit meinen
Habseligkeiten. Ich war völlig verwirrt und hatte keine Ahnung, wohin ich mich
wenden sollte. Nach Magdala konnte ich nicht zurückkehren, da ich sonst die
Schmach meiner Familie noch vergrößert hätte. Außerdem wußte ich, daß mein
Vater mich ohnehin davonjagen würde. Ich wagte nicht, zu meiner Schwester zu
gehen und Schande über ihr Haus zu bringen. Ich hatte weder Geld für ein Zimmer
in einem Wirtshaus, noch besaß ich die Mittel, um Judäa zu verlassen. Ich hatte
kein Talent, keinen Beruf, um mich selbst zu ernähren. Ich konnte nicht länger
die sanfte Rebekka anschauen. Und am schlimmsten von allem war, daß Gott mich
verlassen hatte. Wegen eines Augenblicks der Schwäche hatte ich alles verloren,
wonach ich gestrebt hatte; hatte Schande über mich und meine Familie gebracht,
die Frau, die ich liebte, verloren und wurde von Gott verlassen. Konnte es ein
erbärmlicheres, verachtenswerteres Geschöpf geben als mich?
    Mir blieben nur zwei
Möglichkeiten: entweder in der Stadt zu bleiben und um Almosen zu betteln oder
aufs Land zu gehen und darauf zu hoffen, mit Feldarbeit etwas Brot zu verdienen.
Keine dieser Aussichten war sehr ermutigend, und ich wünschte mir von ganzem
Herzen, ich wäre niemals geboren worden. Ich wanderte den ganzen Tag über durch
fremde Straßen und stieß dabei auch in mir unbekannte Teile der Stadt vor. Als
ich bei Sonnenuntergang vom vielen Laufen erschöpft war, ließ ich mich an einem
Brunnen nieder, wo mehrere Frauen gerade ihr letztes Wasser schöpften. Ihr
Anblick erinnerte mich an die Tage, die ich damit verbracht hatte, Eleasars
Wasservorräte aufzufüllen, und daran, wie ich es damals eingerichtet hatte, in
der gleichen Zeit auch der Witwe das Wasser nach Hause zu tragen. Die Schekel,
die sie mir bezahlt hatte, befanden sich unter denen, die ich, völlig

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