Der Fluch der Sphinx
faltete die Karte wieder zurück in den Baedeker. Sie war fassungslos. Ohne Zweifel war die Sethos-Statue, die Jeffrey Rice erworben hatte, über die Athener Verbindung gelaufen; sie hatte das schon vermutet, als sie sich mit Stephanos Markoulis traf. Das Verfahren war raffiniert, denn das Gepäck von Reisegesellschaften unterzog man nie so genauen Prüfungen wie das von Einzelpersonen. Wer käme schon darauf, daß eine sechzigjährige Dame aus Joliet in ihrem rosa Samsonitekoffer unermeßlich kostbare ägyptische Altertümer mitführte? Erica trat wieder auf den Balkon und lehnte sich übers Geländer. Die Sonne war inzwischen hinter den fernen Bergen versunken. Inmitten der bewässerten Pflanzungen am Westufer standen die sogenannten Memnonsäulen und schimmerten im lavendelfarbenen Schatten. Sie überlegte, was tun, ob sie das Buch Achmed oder Yvon anvertrauen solle – wahrscheinlich eher Achmed. Aber vielleicht war es besser, damit bis zu ihrer Abreise aus Ägypten zu warten. Das war am sichersten. So wichtig es auch sein mochte, die Transportwege des Schwarzhandels aufzudecken, Erica war hauptsächlich an der Sethos-Statue selbst und ihrem Fundort interessiert. Aufgeregt malte sie sich aus, was an einer solchen Fundstätte noch alles zu entdecken war. Sie wollte nicht, daß die Polizei ihre weiteren persönlichen Nachforschungen verbaute.
Dennoch betrachtete Erica ihre Situation realistisch, denn es war gefährlich, das Buch zu behalten. Nun war es klar, daß sich Abdul Hamdi als Erpresser betätigt hatte und die Dinge ihm über den Kopf gewachsen waren; gleichermaßen stand fest, daß er Erica praktisch erst in letzter Sekunde in seinen Plan eingeweiht hatte. Niemand wußte, daß sie über irgendwelche Informationen verfügte, und bis vor wenigen Augenblicken hatte sie es selber auch noch nicht gewußt. Sie wollte alles für sich behalten, bis sie Ägypten verließ.
Während der Abend sich langsam über das Niltal senkte, dachte Erica über ihre Pläne nach. Sie entschied sich dazu, die Rolle der Museumseinkäuferin weiterzuspielen und unter anderem auch den Curio Antique Shop aufzusuchen; es war möglich, daß sie bereits dort gewesen war, aber sie hatte sich die Namen der verschiedenen Antiquitätenläden nicht gemerkt. Dann wollte sie sich danach erkundigen, ob Sarwat Raman noch lebte, Carters Vorarbeiter. Er müßte jetzt ungefähr siebzig Jahre alt sein. Schließlich war es am besten, mit jemandem zu sprechen, der selbst am Tag der Graböffnung in Tutanchamuns Gruft gewesen war und der von dem Papyrus wußte, den Carnarvon in seinem Brief an Sir Wallis Budge erwähnt hatte. Sie hoffte, daß Yvon sich unterdessen nach Lord Carnarvons Tochter erkundigte.
»Das ist das Chicago House«, erklärte Achmed und deutete auf einen eindrucksvollen Bau zur Rechten. Die Pferdedroschke schaukelte sie gemütlich die Shari el Bahr hinauf, an dem von Bäumen gesäumten Ufer des Nils entlang. Das rhythmische Geräusch der Pferdehufe hatte eine beruhigende Wirkung, als würden Wellen an einen felsigen Strand schlagen. Es war sehr dunkel, weil der Vollmond noch nicht über die Hügelkämme der Wüste und die Palmwipfel gestiegen war. Der schwache Wind aus dem Norden genügte nicht einmal, um die spiegelglatte Wasserfläche des Nils zu kräuseln.
Achmed trug auch heute wieder makellose weiße Baumwollkleidung. Wenn Erica sein tiefbraunes Gesicht ansah, konnte sie nur das Glitzern seiner Augen und die weißen Zähne sehen.
Je länger sie mit Achmed zusammen war, um so weniger begriff sie, weshalb er sich mit ihr treffen wollte. Er verhielt sich freundschaftlich und herzlich, hielt jedoch immer auf Distanz. Er hatte sie nur einmal berührt, als er ihr beim Einsteigen in die Droschke die Hand gereicht und ihr einen ganz schwachen Schubs am Gesäßansatz gegeben hatte.
»Waren Sie schon mal verheiratet?« fragte Erica, in der Hoffnung, mehr über diesen Mann erfahren zu können.
»Nein, nie«, antwortete kurzangebunden Achmed.
»Verzeihen Sie«, bat Erica. »Vermutlich geht es mich nichts an.«
Achmed hob seinen Arm und legte ihn hinter Erica auf die Rückenlehne. »Schon gut. Es ist ja kein Geheimnis.« Seine Stimme klang wieder normal. »Ich hatte nie Zeit für Romanzen, und ich glaube, Amerika hat mich verdorben. Die Verhältnisse hier in Ägyptensind ein wenig anders. Aber wahrscheinlich ist das nur eine Ausrede.«
Sie kamen an einer Reihe hübscher Häuser in westeuropäischem Baustil am Flußufer vorüber, die von
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