Der Fluch der Sphinx
fühlte sich bald von den verschiedenen kleinen Anekdoten in den Bann gezogen. Offenbar hatte Aida an ihrer Begegnung nicht weniger Spaß.
»Erinnern Sie sich noch an den Tag«, fragte Erica, »als man Tutanchamuns Grab öffnete?«
»O ja«, erwiderte Aida. »Das war der schönste Tag überhaupt. Da ist mein Mann zum glücklichen Menschen geworden, denn kurz danach wollte Carter Sarwat dabei unterstützen, die Konzession für einen Verkaufsstand im Tal zu erlangen. Mein Mann hatte sich schon gedacht, daß bald Touristen zu Millionen kommen würden, um das Grab zu besichtigen, das Howard Carter entdeckt hatte. Und er hatte recht. Er half auch weiterhin bei den Arbeiten im Grab, aber er steckte viel seiner Kraft in den Bau der Raststätte. Tatsächlich hat er sie fast ganz allein gebaut, obwohl er dafür nur abends Zeit hatte …«
Erica ließ Aida noch für ein Weilchen weiterplaudern. »Entsinnen Sie sich noch an alles«, fragte sie dann, »was am Tag der Graböffnung geschehen ist?«
»Natürlich«, sagte Aida, wegen der Unterbrechung ein wenig verdutzt.
»Hat Ihr Mann irgendwann einmal einen Papyrus erwähnt?«
Augenblicklich verdüsterte sich Aidas Blicke. Ihr Mund bewegte sich, aber kein Laut kam von ihren Lippen. Erica spürte, wie die Erregung in ihr wuchs. Sie hielt den Atem an, als sie die sonderbare Reaktion der Frau sah.
»Kommen Sie von der Regierung?« fragte Aida schließlich.
»Nein«, antwortete Erica prompt.
»Warum stellen Sie dann diese Frage? Jeder weiß, was gefunden worden ist. Es gibt Bücher darüber.«
Erica stellte ihr Getränk auf den Tisch zurück und erläuterte Aida die seltsame Diskrepanz zwischen Carnarvons Brief an Sir Wallis Budge und der Tatsache, daß Carters Aufzeichnungen keinen Papyrus erfaßt hatten. Sie komme nicht von der Regierung, betonte sie nochmals, um die Frau zu beruhigen. Ihr Interesse sei rein akademischer Natur.
»Nein«, sagte Aida endlich nach einem langen Schweigen. »Es gab keinen Papyrus. Mein Mann hätte nie einen Papyrus aus dem Grab entfernt.«
»Aida«, bat leise Erica, »ich habe nicht behauptet, Ihr Mann hätte einen Papyrus weggenommen.«
»Doch. Sie haben gesagt, mein Mann …«
»Nein. Ich habe nur gefragt, ob er jemals von einem Papyrus gesprochen hat. Ich habe keinerlei Beschuldigungen ausgesprochen.«
»Mein Mann war ein anständiger Mensch. Er hatte einen guten Ruf.«
»Selbstverständlich. Carter stellte hohe Anforderungen. Ihr Mann mußte zu seinen tüchtigsten Kräften gezählt haben, um bei ihm Vorarbeiter werden zu können. Niemand zweifelt am guten Ruf Ihres Mannes.«
Erneut entstand ein ausgedehntes Schweigen. Schließlich wandte Aida sich an Erica. »Mein Mann ist seit über zwanzig Jahren tot. Er hat mir gesagt, ich solle nie über den Papyrus reden. Und ich habe es auch nicht, selbst nach seinem Tod nicht. Aber es hat mich auch noch nie jemand nach dem Papyrus gefragt. Deshalb war ich so erschrocken, als Sie davon anfingen. Auf gewisse Weise ist es eine Erleichterung für mich, mit jemandem darüber zu sprechen. Sie werden doch nichts den Behörden verraten?«
»Nein, bestimmt nicht«, versicherte Erica. »Diese Entscheidung liegt bei Ihnen. Also gab es doch einen Papyrus, und Ihr Mann hat ihn aus dem Grab mitgenommen?«
»Ja«, bekannte Aida. »Vor vielen Jahren.«
Erica konnte sich nun vorstellen, was geschehen war; Raman hatte sich den Papyrus angeeignet und ihn verkauft. Es würde schwerfallen, seinem Verbleib auf die Spur zu kommen. »Wie hat Ihr Mann den Papyrus aus der Gruft geschafft?«
»Er hat mir erzählt, daß er ihn sofort am ersten Tag, als er ihn im Grab sah, an sich nahm. Alle waren von den Schätzen so begeistert, daß sie nicht darauf achteten. Er dachte, es könnte irgendein Fluch sein, und befürchtete, daß das Ausgrabungsprojekt eingestellt würde, falls jemand davon erfuhr. Lord Camarvon hatte ja eine Schwäche für den Okkultismus.«
Erica versuchte, sich die Aufregung jenes Tages bildlich auszumalen. Carter hatte in seiner Ungeduld, in die Grabkammer zu schauen, den Papyrus wohl übersehen, und die anderen mußten von der Pracht der Artefakte wie benommen gewesen sein.
»Enthielt der Papyrus einen Fluch?« fragte Erica.
»Nein. Mein Mann behauptete es jedenfalls. Er hat ihn niemals Ägyptologen gezeigt. Statt dessen malte er kleine Ausschnitte ab und ließ sie sich von Fachleuten übertragen. Später setzte er dann alles zusammen. Er sagte, es sei kein Fluch.«
»Hat er denn erwähnt, was
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