Der Fluch der Sphinx
darauf stand?« erkundigte sich Erica.
»Nein. Bloß, daß der Text zur Zeit der Pharaonen von einem klugen Mann geschrieben worden sei, der festhalten wollte, daß Tutanchamun irgendwie Sethos I. geholfen habe.«
Ericas Herz machte einen Sprung. Der Papyrus brachte Tutanchamun mit Sethos I. in Zusammenhang, genau wie die Inschrift auf der Statue.
»Wissen Sie, was aus dem Papyrus geworden ist? Hat Ihr Mann ihn verkauft?«
»Nein, er hat ihn nicht verkauft«, sagte Aida. »Ich bewahre ihn noch auf.«
Aus Ericas Gesicht wich das Blut. Sie saß wie versteinert da, während Aida zu der Schaufel schlurfte, die an der Wand hing.
»Howard Carter hat meinem Mann diese Schaufel zum Geschenk gemacht«, erklärte Aida. Sie zog den hölzernen Stiel aus dem gravierten metallenen Schaufelblatt. Das Ende des Stiels wies einen Hohlraum auf. »Dieser Papyrus ist fünfzig Jahre lang nicht angerührt worden«, ergänzte Aida, als sie sich bemühte, das vom Verfall bedrohte Schriftstück herauszuklauben. Sie entrollte es auf dem Tisch, indem sie die beiden Bestandteile der Schaufel als Gewichte benutzte.
Langsam erhob sich Erica, ohne ihre Augen von dem Hieroglyphentext abzuwenden. Es handelte sich um eine ordnungsgemäße Urkunde, versehen mit Amtssiegeln. Sofort fiel Erica auch die Kartusche von Sethos I. und Tutanchamun auf.
»Darf ich ein Foto machen?« fragte Erica; sie wagte kaum zu atmen.
»Solange es nicht geschieht, um den Ruf meines Mannes anzuschwärzen«, meinte Aida.
»Das verspreche ich Ihnen«, erwiderte Erica, die an ihrer Polaroidkamera hantierte. »Ich werde nichts ohne Ihr Einverständnis tun.« Sie machte mehrere Aufnahmen und vergewisserte sich dessen, daß die Bilder gut genug waren, um sie zur Arbeit verwenden zu können. »Vielen Dank«, sagte sie, sobald sie fertig war. »Nun wollen wir den Papyrus lieber wieder an seinen Aufbewahrungsort tun, aber gehen Sie bitte vorsichtig damit um. Er könnte sehr wertvoll sein und den Namen Raman berühmt machen.«
»Meine Sorge gilt hauptsächlich dem Ansehen meines Mannes«, meinte Aida. »Außerdem stirbt der Name unserer Familie mit mir aus. Wir hatten zwei Söhne, aber beide sind in den Kriegen gefallen.«
»Hatte Ihr Mann sonst noch irgend etwas aus Tutanchamuns Gruft?« fragte Erica.
»O nein«, versicherte Aida.
»Na schön«, meinte Erica. »Ich werde den Text übersetzen und Ihnen mitteilen, was er enthält; Sie können dann entscheiden, was Sie damit machen wollen. Ich werde meinerseits den Behörden keine Mitteilung davon machen. Das überlasse ich alles Ihnen. Aber zeigen Sie ihn vorerst keinem anderen Menschen.«
Als sie wieder vor Aida Ramans Haus stand, überlegte Erica, wie sie jetzt wohl am besten zurück ins Hotel käme. Bei der Vorstellung, die acht Kilometer bis zur Fähre laufen zu müssen, grauste es ihr, und sie beschloß, den Pfad zwischen den Felsen hinter Aida Ramans Haus zu nehmen und ins Tal der Könige zu laufen, wo sich zweifellos für sie ein Taxi finden ließ.
Obwohl es viel Kraft kostete, in dieser Hitze über die Höhen zu wandern, lohnte es sich doch um der bemerkenswerten Aussicht willen. Sie konnte das Dorf Kurna direkt von oben betrachten. Gleich unterhalb des Dorfes stand, an die Berge gedrückt, die eindrucksvolle Ruine des Tempels der Königin Hatschepsut. Erica setzte den Aufstieg bis zum Hügelkamm fort. Das ganze grüne Tal lag vor ihr ausgebreitet, und durch die Mitte schlängelte sich der Nil dahin. Erica schirmte ihre Augen gegen die Sonne ab und drehte sich nach Westen. Unmittelbar voraus lag das Tal der Könige. Von ihrem Standpunkt aus konnte Erica über das Tal hinweg bis zu den endlosen rostroten Gipfeln der Hügel Thebens ausblicken, bis sie in der Ferne mit der gewaltigen Sahara verschmolzen. Sie empfand den Zauber der überwältigenden Einsamkeit.
Der Abstieg ins Tal war vergleichsweise leicht, doch mußte Erica auf den steileren Strecken des Gebirgspfads auf den lockeren Untergrund achten. Der Weg vereinigte sich später mit einem anderen Pfad, der vom einstigen Standort des Dorfes Hort der Wahrheit kam, wo im Altertum, wie Erica wußte, die Arbeiter der Totenstadt gehaust hatten. Als sie zuletzt die Talsohle erreichte, war sie total verschwitzt und sehr durstig. Obwohl sie sehr gern sofort ihr Hotel aufgesucht hätte, um mit der Übersetzung des Papyrustextes zu beginnen, ging sie erst einmal zu dem von Touristen umzingelten Verkaufspavillon hinüber, um sich etwas zum Trinken zu kaufen. Während sie
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