Der Fluch der Sphinx
Grabkammer und unter der »Grabkammer des Königs« befand. Beim dritten und letzten Umbau der Pyramide hatte man die Grabkammer endlich höher im Bauwerk angelegt. Diese neue Kammer hieß allgemein »Grabkammer des Königs«. Erica wollte nun auch diese besichtigen.
Als sie sich vorbeugte, um durch den engen Verbindungsgang in den Großkorridor zurückzukehren, sah Erica eine Gestalt näher kommen. Es wäre äußerst schwierig gewesen, sich zwischen den Wänden an jemandem vorbeizudrücken, also wartete sie. Angesichts des momentan versperrten Auswegs verspürte Erica einen Anflug von Klaustrophobie. Plötzlich war sie sich der etlichen tausend Tonnen Stein über ihrem Kopf bewußt. Sie schloß die Augen und atmete tief durch. Die Luft war dumpfig.
»Meine Güte, nur ein leerer Raum«, nörgelte ein blonder amerikanischer Tourist. Er trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Schwarze Löcher kann man nicht sehen«.
Erica nickte ihm zu, dann durchquerte sie den Gang in der Gegenrichtung. Als sie den Großkorridor betrat, herrschte dort bereits dichtes Gedränge. Hinter einemfettleibigen Deutschen stieg Erica bis zum oberen Ende hinauf und über die hölzernen Stufen zum Durchlaß in die »Grabkammer des Königs«. Droben mußte sie sich wieder unter einer niedrigen Mauer hindurchducken. An den Seiten sah man die Führungsschienen für große Verschlußplatten.
Erica gelangte in einen Raum aus rötlichem Granit, der etwa fünf mal zehn Meter maß. Die Decke bestand aus neun waagerechten Platten. In einer Ecke stand ein schwer beschädigter Sarkophag. Rund zwanzig Personen hielten sich in der Kammer auf, und die Luft war zum Schneiden dick.
Erica versuchte sich vorzustellen, welche Möglichkeiten diese Anlage bot, um Grabräuber fernzuhalten. Sie untersuchte den Bereich der Verschlußplatten. Vielleicht hatte Nenephta das gemeint: Das Grab mit Granit unzugänglich zu machen. Aber Granitplatten waren in vielen Pyramiden verwendet worden. Sie waren keineswegs eine Besonderheit der Großen Pyramide. Außerdem befanden sich keine Granitplatten in der Stufenpyramide, und Nenephta hatte ausdrücklich erwähnt, der »Weg« sei in beiden Pyramiden beschritten worden.
Obwohl die Grabkammer sehr geräumig war, war sie doch zu klein, um alle Grabbeigaben eines so bedeutenden Pharao wie Khufu aufzunehmen. Erica überlegte, daß man die Schätze wahrscheinlich in den anderen Kammern des Pharao gelagert hatte, vor allem in der »Grabkammer der Königin«, die darunter lag, vielleicht sogar im Großkorridor, obwohl zahlreiche Ägyptologen vermuteten, daß der Großkorridor eigentlich dazu bestimmt gewesen sei, mit Granitblöcken ausgefüllt zu werden, um den Zugang in die Kammern zu versperren.
Erica vermochte sich keine Erklärung für Nenephtas Bemerkungen zusammenzureimen. Die Große Pyramideblieb stumm. Sie plauderte keines ihrer Geheimnisse aus. Immer mehr Leute drängten sich in die »Grabkammer des Königs«. Erica verspürte das Bedürfnis nach Frischluft. Sie steckte den Reiseführer wieder ein; aber ehe sie die Grabkammer verließ, wollte sie noch einen Blick in den Sarkophag tun. Vorsichtig zwängte sie sich durch die Menschen bis zu dem Sarkophag und schaute hinein. Sie wußte, daß es über dessen Herkunft, Alter und Zweck verschiedene Meinungen gab. Er war reichlich klein, um den Sarg eines Königs darin unterzubringen, und einige Ägyptologen bezweifelten, daß es sich überhaupt um einen Sarkophag handelte.
»Miss Baron …«, sagte leise eine hohe, aber klangvolle Stimme.
Erica drehte sich um, darüber verblüfft, hier ihren Namen zu hören. Sie musterte die Leute in ihrer Nähe. Niemand schaute sie an. Dann fiel ihr Blick auf einen ungefähr zehnjährigen Jungen mit einem engelhaften Gesicht, in eine schmutzige Galabiya gekleidet; er lächelte zu ihr auf.
»Miss Baron?«
»Ja?« sagte Erica nach kurzem Zögern.
»Sie dürfen zum Curio Antique Shop, um sich die Statue anzusehen. Sie können heute hin. Aber Sie müssen allein gehen.«
Der Junge machte kehrt und verschwand im Gewimmel der Touristen.
»Warte«, rief Erica. Sie boxte sich durchs Gedränge und spähte die schräge Ebene des Großkorridors hinunter. Der Junge hatte schon drei Viertel des Abstiegs bewältigt. Erica folgte ihm, aber abwärts war das Laufen auf den hölzernen Querrippen erheblich schwieriger als aufwärts. Allerdings hatte der Junge dabei anscheinend keine Mühe, und gleich darauf entschwand er in die Mündung des engen Gangs.
Erica
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