Der Fluch der Sphinx
Perlenschnüre vorn im Laden sprang Abdul augenblicklich hoch. »Entschuldigen Sie bitte, Erica, aber ich muß vorsichtig sein.« Er breitete wieder das dunkle Tuch über die herrliche Statue. Es schien Erica, als erwache sie vorzeitig aus einem wundervollen Traum. Sie sah vor sich nur noch ein undefinierbares, formloses Gebilde. »Erlauben Sie, daß ich mich erst um die Kunden kümmere. Ich bin sofort wieder da. Genießen Sie den Tee … soll ich Ihnen vielleicht noch welchen bringen lassen?«
»Nein, danke«, sagte Erica, die noch einmal die Statue sehen wollte, nicht aber noch mehr Tee trinken.
Als Abdul zum Vorhang schlurfte und verstohlen in den Laden spähte, nahm Erica das inzwischen entwickelte Polaroidfoto zur Hand. Abgesehen davon, daß ein Teil von Abduls Kopf fehlte, war der Schnappschuß gelungen. Sie dachte daran, die Statue zu fotografieren, falls sich Abdul damit einverstanden erklärte.
Anscheinend hatten die Kunden vorn im Laden keine Eile, denn Abdul kehrte dem Vorhang den Rücken zu und beugte sich nochmals über seine Truhe aus Zedernholz. Erica lehnte sich gegen ihr Kissen.
»Haben Sie einen Führer für Ägypten?« erkundigte sich leise Abdul.
»Ja«, antwortete Erica, »es ist mir gelungen, einen Reiseführer von Nagel aufzutreiben.«
»Ich habe hier was Besseres für Sie«, sagte Abdul und klaubte aus seinem gesammelten Schriftwechsel ein kleines, abgewetztes Buch. »Hier ist ein Baedeker von 1929, der beste Führer, den man für ägyptische Sehenswürdigkeiten haben kann. Ich würde mich freuen, wenn Sie ihn während Ihres Aufenthalts in meiner Heimat benutzten. Er ist dem Nagel weit überlegen.«
»Sie sind sehr freundlich«, sagte Erica und nahm das Buch. »Ich werde ganz vorsichtig damit umgehen. Vielen Dank.«
»Es ist mir ein Vergnügen, Ihnen den Besuch bei uns so schön wie möglich zu gestalten«, sagte Abdul und begab sich wieder zum Vorhang, vor dem er erneut zögerte. »Sollten Sie das Buch mir nicht wiedergeben können, wenn Sie Ägypten verlassen, dann stellen Sie es dem Mann zu, dessen Name und Anschrift auf dem Deckblatt stehen. Ich reise viel und bin zu der Zeit vielleicht nicht in Kairo.« Er lächelte und betrat den Geschäftsraum. Hinter ihm fiel der schwere Vorhang zu.
Erica blätterte den Führer durch und war erstaunt über die zahllosen Abbildungen und ausklappbaren Karten. Die Beschreibung des Tempels zu Karnak, ausgezeichnet mit vier Sternen, umfaßte allein vierzig Seiten. Sie wirkte sehr sachkundig. Das nächste Kapitel beschäftigte sich mit einer Reihe von Kupferstichen im Tempel der Königin Hatschepsut, und am Schluß des Kapitels befand sich eine ausführliche Beschreibung, die zu lesen Erica besonders interessierte. Sie schob den von Abdul gemachten Schnappschuß ins Buch, sowohl um die Stelle zu kennzeichnen wie auch zur sicheren Aufbewahrung der Fotografie, und packte beides in ihre Tasche.
Da sie noch allein im Zimmer saß, betrachtete sie nochmals das verhüllte Standbild Sethos’ I. Sie mußte alle Willenskraft aufbieten, um nicht das Tuch hochzuheben und die sonderbaren Hieroglyphen noch einmal zu studieren. Sie überlegte, ob es wirklich ein Vertrauensbruch wäre, die Statue in Abduls Abwesenheit anzuschauen. Widerwillig gestand sie sich ein, daß es das tatsächlich wäre, und sie wollte sich gerade nochmals den Führer vornehmen, als sie eine auffällige Veränderung in der Art und Weise der gedämpften Unterhaltung, die vorn im Laden stattfand, bemerkte. Die Stimmen klangen nicht lauter, aber eindeutig zorniger. Zuerst dachte sie, das läge nur am Feilschen. Dann durchdrang das Klirren einer splitternden Glasplatte die Stille des trübe erhellten Zimmers, dem sich ein erstickter Schrei anschloß. In Erica stieg Panik auf, und in ihren Schläfen hämmerte es. Eine einzelne Stimme sprach weiter, leiser, drohend.
So lautlos wie möglich trat Erica an den Vorhang und öffnete, wie sie es vorhin bei Abdul gesehen hatte, kaum merklich einen Spalt, um in den vorderen Raum zu spähen. Als erstes sah sie den Rücken eines Arabers in zerlumpter, schmutziger Galabiya, der am Eingang die Perlenschnüre zur Seite hielt, anscheinend achtgab, ob jemand in den Laden kommen wollte. Als sie dann nach links schaute, mußte sie einen Aufschrei unterdrücken. Ein anderer Araber, ebenfalls bekleidet mit einer abgerissenen, dreckigen Galabiya, drückte Abdul rücklings über die zerbrochene Ladentheke. Vor Abdul stand ein dritter Araber, der ein sauberes, in
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