Der Fluch der Sphinx
erlaubt der Islam dem Gläubigen ja vier Frauen. Doch ich könnte die Freude, die ich an meiner einzigen Frau habe, viermal nicht verkraften. Aber achtundzwanzig Jahre und noch nicht verheiratet? Die Welt ist seltsam geworden.«
Während sie Abdul beim Teetrinken beobachtete, sann sie darüber nach, wieviel Vergnügen sie an dieser Begegnung im Antiquitätenladen hatte. Sie wollte daran eine Erinnerung haben.
»Abdul, darf ich ein Foto von Ihnen machen?«
»Sie ehren mich.«
Abdul setzte sich auf den Kissen zurecht und glättete seine Jacke. Erica zückte ihre kleine Polaroidkamera und steckte den Blitzlichtwürfel auf. Einen Moment, nachdem das Blitzlicht das Zimmer mit unnatürlicher Helligkeit erfüllt hatte, schob der Apparat das noch unentwickelte Foto aus.
»Ach, hätten die russischen Raketen bloß so gut funktioniert wie Ihre Kamera«, sagte Abdul und setzte sich wieder bequemer. »Da Sie die schönste und jüngste Ägyptologin sind, die je meinen Laden betreten hat, möchte ich Ihnen etwas ganz Außergewöhnliches zeigen.«
Langsam erhob sich Abdul. Erica betrachtete das Foto. Es schien gelungen.
»Sie haben großes Glück, daß Sie die Möglichkeit haben, dieses Stück zu sehen«, sagte Abdul und zog das Tuch von einem ungefähr eins achtzig hohen Gegenstand.
Erica hob den Blick; und sie stöhnte auf. »Mein Gott«, sagte sie ungläubig. Vor ihr erhob sich ein lebensgroßes Standbild. Sie raffte sich hoch, um es genauer anzuschauen. Stolz trat Abdul einen Schritt zurück, wie ein Künstler, der sein Werk vorzeigt. Das Antlitz war aus gehämmertem Gold und erinnerte an die Goldmaske Tutanchamuns, war jedoch feiner gearbeitet.
»Das ist Pharao Sethos I.«, sagte Abdul. Er ließ das Tuch auf den Boden sinken und setzte sich wieder; Erica schwelgte im Anblick des Kunstwerks.
»Das ist die schönste Statue, die ich jemals gesehen habe«, flüsterte Erica, während sie das schöne ruhige Antlitz musterte. Die Augen bestanden aus weißem Alabaster mit Einlagen aus grünem Feldspat. Die Augenbrauen hatte man aus durchscheinendem Karneol gefertigt, und die übliche altägyptische Kopfbedeckung war aus Gold mit Reihen von eingelegten Lapislazuli. Um den Hals hing eine prachtvoll gearbeitete Brustplatte in Form eines Geiers, der die ägyptische Göttin Nekhbet darstellte. Der Halsschmuck aus Gold war mit mehreren hundert Steinen aus Türkis, Jaspis und Lapislazuli besetzt. Der Schnabel des Geiers und die Augen waren aus Obsidian. Am Gürtel trug die Statue einen goldenenDolch mit Scheide, dessen unerhört fein gearbeiteter Griff ebenfalls mit Edelsteinen übersät war. Die ausgestreckte linke Hand hielt ein mit Juwelen verziertes Zepter. Alles war überwältigend. Erica war sprachlos vor Bewunderung. Bei dieser Statue handelte es sich um keine Fälschung, ihr Wert mußte geradezu unvorstellbar hoch sein. Schon jedes einzelne Attribut der Figur war sehr kostbar. Inmitten des behaglichen roten Schimmers der Orientteppiche strahlte das Standbild eine so klare, reine Helligkeit wie ein Diamant aus. Langsam ging Erica um das Standbild herum und fand allmählich wieder Worte.
»Um alles in der Welt, woher kommt die Statue? So etwas habe ich noch nie gesehen.«
»Aus dem Sand der Libyschen Wüste, wo alle unsere Schätze verborgen liegen«, antwortete Abdul und gurrte wie ein stolzgeschwellter Pfau. »Sie wurde hier nur für ein paar Stunden abgestellt, bevor sie auf die große Reise geht. Ich dachte, Sie würden sie gerne sehen.«
»O Abdul, sie ist so schön, daß ich schier sprachlos bin, ehrlich.« Erica trat wieder an die Vorderseite der Statue und bemerkte erstmals die in den Sockel eingeschnittenen Hieroglyphen. Im Handumdrehen entzifferte sie den Namen von Pharao Sethos I. kenntlich in der »Kartusche« genannten Umrahmung einer Zeichengruppe. Dann sah sie eine Kartusche mit einem anderen Namen. Zunächst dachte sie an einen anderen Namen für Sethos I. und bemühte sich um eine Interpretation. Doch zu ihrem Staunen lautete der Name Tutanchamun. Das ergab keinen Sinn. Sethos I. war ein außergewöhnlich bedeutender und mächtiger Pharao gewesen, der ungefähr fünfzig Jahre nach dem bedeutungslosen jungen König Tutanchamun geherrscht hatte. Die beiden Pharaonen kamen aus verschiedenen Dynastien und völlig separaten Familien. Erica meinte, ihr sei ein Fehler unterlaufen, und sie besah sich die Hieroglyphen nochmals. Aber sie hatte recht: Die Hieroglyphen enthielten beide Namen.
Beim hellen Klackern der
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