Der Fluch der Sphinx
haben. Es dauert nur einen Moment.« Beide Männer verschwanden hinterm schweren Vorhang.
Erica trat zur beschädigten Ladentheke und starrte in das Durcheinander von Glasscherben und geronnenemBlut. Es fiel ihr schwer, ihre Übelkeit zu unterdrücken, aber mit etwas Glück fand sie schließlich, was sie suchte – den falschen Skarabäus, den Abdul ihr geschenkt und den sein Sohn so kunstfertig geschnitzt hatte. Sie schob den Skarabäus in die Tasche und berührte zugleich behutsam mit der Fußspitze die Scherben am Boden. Unter den Trümmern befanden sich auch die beiden echten Altertümer. Nachdem sie sechstausend Jahre lang gehalten hatten, waren sie hier sinnlos zerschlagen worden, von einem zwölfjährigen Dieb auf dem Fußboden dieses jämmerlichen Ladens zerbrochen. Diese Sinnlosigkeit machte ihr direkt physisch Schwierigkeiten. Ihr Blick fiel wieder auf das Blut, und sie mußte die Augen schließen, um die Tränen zurückzuhalten. Aus reiner Gier hatte man das Leben eines feinfühligen Menschen ausgelöscht. Vergeblich versuchte Erica, sich genauer auf das Aussehen des Mannes mit dem Säbel zu besinnen. Seine Gesichtszüge waren scharf geschnitten gewesen, wie bei einem typischen Beduinen, seine Haut dunkel wie gebrannte Bronze. Aber es gelang ihr nicht, sich ein genaues Bild von dem Mann zu machen. Sie schlug die Lider wieder auf und sah sich im Laden um. Zorn begann die unterdrückten Tränen vollends zu verdrängen. Sie wäre gerne zur Polizei gegangen, damit Abdul Hamdis Mörder der Gerechtigkeit nicht entkamen. Aber Yvons Warnung vor der Kairoer Polizei war zweifellos angebracht. Und wenn sie sich nicht einmal sicher war, ob sie den Mörder wiedererkannte, sobald sie ihn sah, lohnte sich das Risiko, zur Polizei zu gehen, nicht.
Erica beugte sich hinab und hob eines der größeren Bruchstücke auf. Ihre Sachkenntnisse lagen auf dem Gebiet der fernen Vergangenheit, und sie versuchte im Geiste, sich das Bild der Sethos-Statue mit ihren Augen aus Alabaster und Feldspat genauestens einzuprägen. Siehegte nicht den geringsten Zweifel daran, daß die Statue gerettet werden mußte. Ihr war nicht bekannt gewesen, daß Objekte von solcher Bedeutung auf den Schwarzmarkt gerieten.
Erica trat an den Vorhang und schob ihn zur Seite. Yvon und Raoul rollten gerade die Teppiche am Fußboden auf. Yvon blickte auf und gab mit einem Wink zu verstehen, daß es nur noch einen Moment dauern werde. Erica sah ihnen bei ihrer Tätigkeit zu. Yvon versuchte anscheinend ernsthaft, etwas gegen den Schwarzmarkt zu unternehmen. Die Franzosen taten allerhand, um die Plünderung von ägyptischen Schätzen zu drosseln, jedenfalls soweit sie sie nicht selbst dem Louvre einverleibt hatten. Falls wirklich Aussicht bestand, das Standbild zu retten, wenn sie sich nicht an die Polizei wandte, war es vielleicht am besten, darauf zu verzichten. Erica entschied, Yvons Ratschlag zu beherzigen, aber sie wußte, daß sie sich damit in gewissem Maße seinen Vernunftgründen unterordnete.
Yvon überließ es Raoul, die Teppiche wieder zu ordnen, und geleitete Erica aus dem Antica Abdul. Mit Yvon durch die Khan el Khalili zu gehen, war ein völlig anderes Erlebnis als ihr Versuch, es allein zu schaffen. Niemand belästigte sie. Wie um sie von den Vorfällen der letzten Stunde abzulenken, redete Yvon pausenlos über den Basar und Kairo. Offenbar kannte er sich in der Geschichte der Stadt gut aus. Er hatte seine Krawatte abgebunden und das Hemd am Kragen aufgeknöpft.
»Wie wäre es mit einer Bronzebüste der Nofretete?« fragte er und hielt ihr eines der scheußlichen Touristensouvenirs vom Karren eines Straßenhändlers entgegen.
»Niemals!« stieß Erica entsetzt aus. Sie entsann sich der peinlichen Situation, als jener junge Flegel sie behelligt hatte.
»Sie müssen unbedingt so ein Ding haben«, beschwor Yvon sie und begann in arabischer Sprache zu feilschen. Erica versuchte einzugreifen, aber er kaufte die kleine Statue und überreichte sie ihr mit großartig feierlicher Geste. »Ein Andenken an Ägypten, an dem Sie lange Freude haben werden. Der einzige Fehler ist, daß die Figur meines Wissens in der Tschechoslowakei hergestellt worden ist.«
Erica lächelte und steckte die kleine Büste ein. Trotz Hitze, Staub und Armut begann Kairos Charme auf sie zu wirken, und sie entkrampfte sich ein wenig.
Die schmale Gasse, die sie durchquert hatten, verbreiterte sich, und sie traten in den hellen Sonnenschein auf dem El-Azhar-Platz. Der Verkehr
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