Der Fluch der Sphinx
und versuchte krampfhaft, sich irgend etwas auszudenken, wonach sie ihn fragen könne, damit er sich nicht so überflüssig fühlte.
»Gibt’s hier im Museum Artefakte Sethos’ I.«
Selim legte einen Zeigefinger an seine Nase und dachte nach. Dann hob er den Finger wortlos in die Luft und gab Erica ein Zeichen, sie möge sich ihm anschließen. Er führte sie ins zweite Stockwerk in Raum 47, der sich genau oberhalb der Eingangshalle befand. Dort zeigte er ihr einen großen, schön bearbeiteten Quarzit, mit 388.1 numeriert. »Der Deckel zu Sethos’ I. Sarkophag«, verkündete er stolz.
Erica besah sich den schweren Klotz und verglich ihn insgeheim mit der wunderbaren Statue, die sie gestern gesehen hatte. An einen Vergleich war gar nicht zu denken. Außerdem fiel ihr ein, daß der eigentliche Sarkophag von Sethos I. nach London gebracht worden war und dort in einem kleinen Museum stand. Wie sehr der Schwarzhandel dem Ägyptischen Museum schadete, wurde wieder einmal schmerzlich offenkundig.
Selim wartete, bis Erica aufschaute. Dann zog er sie am Arm zum Eingang eines anderen Raums und ließ sie dem Wärter vor der Tür weitere fünfzehn Piaster zahlen, damit sie eintreten durften. Sobald sie drin waren, führte Selim sie zwischen langen, flachen Glasbehältern bis zu einem an der Wand. »Die Mumie Sethos’ I.«, sagte er.
Während sie das vertrocknete Antlitz musterte, fühlte sich Erica nicht besonders wohl. Es ähnelte durchaus der Art von Maske, die Make-up-Spezialisten in Hollywood schon für zahllose Horrorfilme zurechtgemacht hatten, und sie bemerkte, daß die Ohren sich bereits zersetzt hatten, der Kopf nicht länger in fester Verbindung mit dem Rumpf war. Statt die Unsterblichkeit zu verherrlichen, verliehen diese Überreste lediglich dem Schrecken des Todes Dauerhaftigkeit. Bei einem Rundblick auf die übrigen königlichen Mumien, die man in dem Raum aufbewahrte, fand Erica, daß die versteinerten Leichname nicht das alte Ägypten lebendiger machten, sondern vielmehr den gewaltigen Zeitraum zwischen damals und heute noch vertieften und das ägyptische Altertum noch weiter in die Vergangenheit rückten. Nochmals betrachtete sie das Gesicht Sethos’ I. Es ähnelte der wunderschönen Statue, die ihr gestern unter die Augen geriet, in keiner Weise. Das Standbild hatte ein schmales Kinn und eine gerade Nase gezeigt, wogegen die Mumie ein sehr breites Kinn und eine krumme Habichtnase aufwies. Der Anblick flößte ihr Grauen ein, und sie schauderte, ehe sie sich abwandte. Sie winkte Selim, damit er ihr folge, und eilte hinaus.
Ericas Taxi brachte sie ins Freie aufs ägyptische Land, ließ Kairo mit Lärm und Aufregungen hinter sich. Sie fuhren am Westufer des Nils südwärts. Selim hatte die Konversation anfangs mit einer Wiedergabe dessen fortzusetzen versucht, was Ramses II. alles zu Moses gesagt haben sollte, aber schließlich, da er so wenig Resonanz fand, schwieg er. Erica hatte mit ihm, weil sie ihn nicht kränken wollte, über seine Familie zu reden versucht, aber das war anscheinend andererseits ein Thema, an dem der Fremdenführer kein Interesse verspürte. Folglich fuhren sie hauptsächlich in eisigem Schweigen dahin,und Erica durfte so wenigstens in Ruhe die Aussicht genießen. Besonders gefiel ihr der Kontrast zwischen dem Saphirblau des Nils und dem leuchtenden Grün der bewässerten Felder. Die Zeit für die Dattelernte war angebrochen. Massenhaft trotteten Esel vorüber, hochauf mit Palmzweigen beladen, die schwer waren von den rötlichen Früchten. Gegenüber der Industriestadt Hilwan am Ostufer des Nils gabelte sich die asphaltierte Straße. Ericas Taxi nahm die rechte Fahrbahn und hupte mehrmals, obwohl sich weit und breit kein Fahrzeug sehen ließ.
Gamal folgte bloß fünf oder sechs Fahrzeuglängen dahinter. Er hockte buchstäblich auf dem vordersten Rand des Rücksitzes, um mit dem Fahrer besser plaudern zu können. Wegen der Hitze hatte er seine graue Anzugjacke abgestreift; er wußte, die Temperatur würde noch erheblich steigen.
Fast einen halben Kilometer hinter Gamal lärmte Khalifas Radio, und die schrille Musik erfüllte das ganze Auto. Mittlerweile war er davon überzeugt, daß man Erica bereits verfolgte, aber ihm schienen die Methoden des Verfolgers ziemlich sonderbar. Das Taxi hing viel zu dicht hinter Ericas Wagen. Vor dem Museum hatte er sich den Insassen gut ansehen können; er sah aus wie ein Student, aber Khalifa hatte auch schon mit studentischen Terroristen zu
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