Der Fluch der Sphinx
schaffen gehabt. Er wußte, daß ihr schlichtes Äußeres oft die Tarnung für Gnadenlosigkeit und Wagemut abgab.
Ericas Taxi durchfuhr einen Palmenhain, dessen Palmen so eng beieinander standen, daß sie den Eindruck eines Nadelholzwaldes erweckten. Sie tauchten aus der unerbittlichen Sonnenglut in kühlen Schatten ein und hielten vor einem kleinen Dorf aus Ziegelbauten. Auf einer Seite stand eine putzige Moschee, auf der anderen Seite erstreckte sich eine freie Fläche mit einer vielleichtachtzig Tonnen schweren Sphinx aus Alabaster, zahlreichen Bruchstücken von Statuen sowie einem großen, aber umgekippten Kalksteinstandbild Ramses’ II. Am Rande dieser Lichtung stand eine kleine Erfrischungsbude, die sich Café Sphinx nannte.
»Die sagenhafte Stadt Memphis«, sagte Selim feierlich.
»Sie meinen Mennofer«, verbesserte Erica und betrachtete die kümmerlichen Überreste. Memphis war der griechische Name. Der altägyptische Name lautete Mennofer. »Ich spendiere uns einen Kaffee oder Tee«, meinte Erica, als sie sah, wie beleidigt er war.
Auf dem Wege zur Erfrischungsbude war Erica darüber froh, auf diese kläglichen Reste der einstmals gewaltigen Hauptstadt des alten Ägyptens vorbereitet gewesen zu sein, denn andernfalls hätte sie jetzt eine bittere Enttäuschung erlitten. Eine Horde zerlumpter Halbwüchsiger kam mit umfangreichen Angeboten gefälschter Altertümer angestürmt, aber Selim und der Taxifahrer vertrieben sie lautstark. Sie gingen zu einer kleinen Veranda mit runden Metalltischen und bestellten Getränke. Die beiden Männer nahmen Kaffee. Erica zog Orangenlimonade vor.
Mit seiner Al Ahram unterm Arm entstieg Gamal dem Taxi, das Gesicht schweißüberströmt. Anfangs hatte er sich nicht recht entschließen können, aber zuletzt gelangte er doch zu der Überzeugung, daß er auch dringend etwas zu trinken brauchte. Er vermied es, zu Erica und ihrer Begleitung hinüberzublicken und setzte sich an einen Tisch hinterm Kiosk. Sobald man ihm einen Kaffee serviert hatte, versteckte er sich wieder hinter seiner Zeitung.
Khalifa hielt sein Zielfernrohr auf Gamals stämmigen Rumpf gerichtet, lockerte jedoch die Finger seiner rechten Hand. Er hatte ungefähr achtzig Meter vor der Lichtung geparkt, wo einst Memphis stand, und rasch sein israelisches FN-Scharfschützengewehr ausgepackt. Er hockte geduckt auf der Rückbank des Wagens, und der Gewehrlauf ruhte im offenen Fenster der Fahrertür. Von dem Moment an, da Gamal sein Auto verließ, behielt Khalifa ihn ununterbrochen im Visier. Bei der erstbesten schnellen Bewegung zu Erica hinüber hätte ihn Khalifa in den Hintern geschossen. Daran stirbt man nicht, war Khalifas Überlegung, aber es würde ihn beträchtlich aufhalten.
Erica konnte ihre Limonade wegen der vielen Fliegen auf der Veranda nicht recht genießen. Das Gefuchtel mit der Hand vertrieb sie nicht, und einige Male hatten sich besonders unverschämte Fliegen schon auf ihre Lippen gesetzt. Sie erhob sich vom Tisch, mahnte die beiden Männer zur Eile und schritt hinaus auf die Lichtung. Ehe sie wieder ins Taxi stieg, blieb Erica bei der alabasternen Sphinx stehen, um sie zu bewundern. Sie fragte sich, welche Rätsel sie wohl – könnte sie sprechen – aufgeben würde; sie war sehr alt. Ihre Entstehung datierte im Alten Reich.
Als alle wieder im Wagen saßen, fuhren sie durch den dichten Palmenhain weiter, bis er sich merklich lichtete. Erneut gerieten sie zwischen bestellte Felder, durchzogen von Bewässerungskanälen, die durch die vielen Algen und Wasserpflanzen nur träge flossen. Plötzlich ragte hinter den Palmenwipfeln der vertraute Umriß der Stufenpyramide des Pharao Zoser auf. Erica zitterte vor Erregung. Nicht lange, und sie durfte das älteste von Menschenhand errichtete steinerne Bauwerk besichtigen, zugleich für Ägyptologen die bedeutendste archäologische Stätte in ganz Ägypten. Hier hatte der berühmte Architekt Imhotep eine Himmelstreppe aus sechs riesigen Stufen erbaut, die bis zu einer Höhe von sechzig Metern aufstieg. Mit ihr wurde das Zeitalter der Pyramiden eingeleitet.
Erica war zumute wie einem ungeduldigen Kind auf dem Weg zum Zirkus. Daß sie erst noch durch ein kleines Dorf aus Lehmziegeln holpern mußten, ehe sie den letzten breiten Bewässerungskanal überquerten, verdroß sie. Kurz hinter der Brücke endete das kultivierte Land, begann die unfruchtbare Libysche Wüste. Es gab keine Übergangszone. Es war, als geriete man ohne Sonnenuntergang vom Mittag zur
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