Der Fluch der Sphinx
Stephanos Markoulis’ Stimme klang ziemlich herrisch.
»Hier ist Erica Baron.«
»Aha, ja! Danke, daß Sie anrufen. Ich brenne darauf, Sie kennenzulernen. Wir haben einen gemeinsamen Bekannten, Yvon de Margeau. Ein netter Mensch. Ich nehme an, er hat Ihnen ausgerichtet, daß ich mich melden wollte und mich gerne mit Ihnen zu einem Gespräch verabreden möchte. Können wir uns schon heute nachmittag treffen, sagen wir, um halb drei?«
»Und wo würden Sie vorschlagen?« fragte Erica, sich Yvons Warnung bewußt. Sie hörte im Apparat aus der Ferne ein dumpfes Rumpeln.
»Das überlasse ich Ihnen, meine Liebe«, sagte Stephanos und sprach wegen des Lärms im Hintergrund lauter.
Auf diese plump vertrauliche Anrede sträubten sich Ericas Nackenhaare etwas. »Ich weiß nicht«, meinte sie und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Jetzt war es halb zwölf. Gegen halb drei Uhr würden Richard und sie sich wahrscheinlich auf dem Basar aufhalten.
»Wie wäre es denn bei Ihnen im Hilton?« schlug Stephanos vor.
»Ich bin heute nachmittag auf dem Khan-el-Khalili-Basar«, entgegnete Erica. Sie überlegte, ob sie Richard erwähnen solle, entschied sich jedoch dagegen. Sie hielt es für ganz gut, sich einen kleinen Überraschungsfaktor vorzubehalten.
»Einen Moment«, sagte Stephanos. Erica hörte eine gedämpfte Unterhaltung. Stephanos hatte seine Handüber die Sprechmuschel gelegt. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie einen Augenblick lang warten lassen mußte«, sagte er mit einer Glattzüngigkeit, die verriet, wie völlig egal es ihm war, wenn sie warten mußte. »Kennen Sie die El-Azhar-Moschee in der Nähe der Khan el Khalili?«
»Ja«, antwortete Erica. Sie erinnerte sich, daß Yvon sie auf die Moschee aufmerksam gemacht hatte.
»Dort treffen wir uns«, sagte Stephanos. »Sie ist leicht zu finden. Halb drei also. Ich freue mich wirklich sehr darauf, Sie zu sehen, meine Liebe. Yvon de Margeau hat mir nur die entzückendsten Dinge von Ihnen erzählt.«
Erica verabschiedete sich und legte den Hörer ein. Es war ihr unbehaglich zumute, und auch ein wenig ängstlich. Aber sie war entschlossen, diese Sache um Yvons willen durchzustehen; nach ihrer festen Überzeugung würde er ihr nie eine Zusammenkunft mit Markoulis empfohlen haben, wäre damit eine Gefahr verbunden. Nichtsdestotrotz wünschte sie sich, sie hätte die Begegnung schon hinter sich.
Luxor, 11 Uhr 40
In seiner Kleidung – einem weiten weißen Hemd und ebensolcher Hose, beides aus Baumwolle – fühlte sich Achmed Khazzan einigermaßen entspannt und wohl. Gamal Ibrahims gewaltsamer Tod ging ihm noch immer nach, aber er schrieb diesen Vorfall dem unbegreiflichen Wirken Allahs zu, und daher schwand sein Schuldgefühl allmählich. Er wußte, daß er als Vorgesetzter sich mit derlei abzufinden hatte.
Am Abend zuvor war er pflichtschuldig bei seinen Eltern auf Besuch gewesen. Er liebte seine Mutter sehr, aber mißbilligte ihre Entscheidung, zu Hause zu bleiben und sich um seinen invaliden Vater zu kümmern. Seine Mutter war eine der ersten Frauen in Ägypten gewesen, die an einer Universität graduierten, und Achmed hätte sie lieber ihre Ausbildung nutzen gesehen. Sie war eine hochintelligente Frau und wäre für Achmed eine gewaltige Unterstützung gewesen. Sein Vater war im Krieg von 1956 schwer verwundet worden, im selben Krieg, der Achmeds älteren Bruder das Leben gekostet hatte. Achmed kannte keine Familie in Ägypten, die nicht durch einen der vielen Kriege von einer Tragödie heimgesucht worden war, und wenn er nur daran dachte, kochte er vor Zorn.
Nach dem Besuch bei seinen Eltern hatte Achmed in seinem eigenen gemütlichen Häuschen aus Lehmziegeln in Luxor lang und gut geschlafen. Sein Diener bereitete ihm ein wunderbares Frühstück mit frischem Brot und Kaffee. Zaki hatte angerufen und gemeldet, er habe extra zwei Polizeiagenten in Zivil nach Saqqara geschickt. Anscheinend war in Kairo alles ruhig. Und was vielleicht am wichtigsten war, er hatte mit Erfolg eine potentielle Familienkrise abgewendet. Ein Verwandter, den er zum Chef der Wachabteilung in der Nekropole Luxor befördert hatte, war aufsässig geworden und drängte auf Versetzung nach Kairo. Achmed hatte ihn zur Vernunft zu bringen versucht, aber als das nichts fruchtete, gab er alle Rücksichtnahme auf, zeigte offen seine Verärgerung und befahl ihm ganz einfach, auf seinem Posten zu bleiben. Der Vater des Verwandten, Achmeds Schwiegeronkel, hatte eingreifen wollen; Achmed mußte
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