Der Fluch der Sphinx
ausgebeult.
Achmed verscheuchte die Fliegen; er bemerkte, daß die Ratten den Leichnam bereits angefressen hatten. Der widerwärtige Anblick verursachte ihm Übelkeit, und die Tatsache, daß dieses Verbrechen in seinem geliebten Luxor geschehen war, versetzte ihn in höchste Wut. Und gleichzeitig mit der Wut kam die Furcht, die Brutalität und das Verbrechertum Kairos könnten sich wie eine Seuche übers ganze Land ausbreiten. Achmed war sich völlig darüber im klaren, daß es bei ihm lag, dies Übel einzudämmen.
Er beugte sich vor und blickte in die ausdruckslosen Augen Tewfik Hamdis. Sie zeugten noch vom Entsetzen, das Tewfik beim Verrinnen des eigenen Lebens empfunden haben mußte. Aber warum war es dazu gekommen? Achmed richtete sich auf. Der Verwesungsgeruch war fast nicht zu ertragen. Vorsichtig kehrte er über den mit Trümmern übersäten Fußboden zurück in den Hinterhof. Die Sonne schien ihm warm aufs Gesicht, und einen Moment lang stand er reglos, atmete tief. Ihm war klar, daß er nicht nach Kairo zurückkehren konnte, bevor er mehr über den Fall wußte. Seine Gedanken wanderten zu Yvon de Margeau. Wo immer dieser Mann auftauchte, ergaben sich Schwierigkeiten.
Achmed quetschte sich durch die Lattentür hinaus auf die Gasse und rückte die Tür so gut zurecht, wie es sich machen ließ. Er beabsichtigte, auf dem schnellsten Wege die Polizeiwache am Hauptbahnhof von Luxor aufzusuchen; anschließend gedachte er Kairo anzurufen. Als er Sawda bestieg, fragte er sich, was Tewfik Hamdi getanoder gewußt haben mochte, um einem solchen Schicksal anheimzufallen.
Kairo, 14 Uhr 05
»Ein herrlicher Laden«, rief Richard aus, als er ihn von der belebten Gasse aus betrat. »Hervorragendes Angebot. Hier finde ich bestimmt sämtliche Weihnachtsgeschenke.«
Erica war starr vor Staunen über den öden Raum. Vom Antica Abdul war nichts geblieben bis auf einige kleine Töpferscherben. Es schien, als habe es das Geschäft nie gegeben. Sogar die Schaufensterscheibe war herausgenommen worden. Vor der Tür hingen keine Perlenschnüre und innen keine Vorhänge oder Teppiche. Kein einziges Möbelstück noch ein Fetzen Stoff war zurückgeblieben.
»Ich kann’s kaum glauben«, flüsterte Erica und ging zu der Stelle, wo die gläserne Ladentheke gestanden hatte. Sie bückte sich und hob eine Tonscherbe auf. »Hier hing ein schwerer Vorhang, der den Geschäftsraum vom Hinterzimmer getrennt hat.« Sie begab sich wieder nach hinten und drehte sich zu Richard um. »Hier war ich, als der Mord geschah. Herrgott, es war ja so entsetzlich! Der Mörder stand genau da, wo du jetzt stehst, Richard.«
Richard senkte den Blick auf seine Füße und trat etwas zur Seite. »Sieht aus, als hätten die Diebe buchstäblich alles geklaut«, meinte er. »Bei dieser Armut hat jede Kleinigkeit ihren Wert, vermute ich.«
»Du hast zweifellos recht«, sagte Erica und entnahm ihrer Segeltuchtasche eine Taschenlampe, »aber der Laden ist nicht nur ausgeplündert worden. Diese Löcher inden Wänden – die gab es vorher nicht.« Sie knipste die Lampe an und leuchtete in einige hinein.
»Eine Taschenlampe, sieh an«, wunderte sich Richard. »Du bist tatsächlich auf alles vorbereitet.«
»Wer ohne Taschenlampe nach Ägypten reist, begeht einen Fehler.«
Richard trat an eines der erst vor kurzem in die Wände gehauenen Löcher und fegte mit der Hand Lehmstaub und -körner heraus. »Kairoer Vandalismus, schätze ich.«
Erica schüttelte ihren Kopf. »Ich glaube eher, man hat den Laden sehr genau durchsucht.«
Richard schaute rundum; er bemerkte, daß man an einigen Stellen den Fußboden aufgerissen hatte. »Kann sein, aber wieso? Ich meine, wonach könnte man gesucht haben?«
Erica kaute auf der Innenseite ihrer Wange, eine Gewohnheit, in die sie bei starker Konzentration stets verfiel. Richards Frage war berechtigt. Vielleicht war es in Kairo gebräuchlich, Geld oder Wertsachen in Wänden oder im Boden zu verstecken. Aber der Zustand des Ladens erinnerte sie gleichzeitig daran, daß man auch ihr Hotelzimmer durchsucht hatte. Sie setzte das Blitzlichtgerät auf ihre Polaroidkamera und machte vom Innern des Ladens eine Aufnahme.
Richard spürte Ericas Unbehagen. »Tut es dir leid, hierher zurückgekehrt zu sein?«
»Nein«, erwiderte Erica. Sie wollte Richards übermäßigen Beschützerinstinkt nicht noch fördern. Doch sie fühlte sich inmitten der kärglichen Überbleibsel des Antica Abdul in der Tat äußerst unbehaglich. Das war der
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