Der Fluch der Totenleserin totenleserin4
zum Ende dabeibleiben, und wenn er sie dafür umbrachte. Oder sie ihn, denn dazu war sie mittlerweile bereit.
»Oho!«, sagte Fabrisse und sah sie an. »Wir haben unsere Angst abgelegt.«
»Nein, aber ich laufe nicht mehr weg.«
Seltsamerweise waren es Rankins Worte vom »schwarzgesichtigen Bussard« gewesen, die Adelia ihren Mut zurückgegeben hatten. Sie würde ihm auf ewig dafür dankbar sein, dass er ihrem Dämon das Dämonische genommen hatte. Er hatte seine Hufe zu menschlichen Füßen werden lassen. Ob sie den Bussard entlarven und außer Gefecht setzen konnte, wusste sie nicht, aber sie wollte es bei Gott versuchen. Schließlich waren alle Wahnsinnigen auf ihre eigene Art verletzlich.
Zusammen mit den anderen war sie wieder und wieder die Zeit in Joannas Tross durchgegangen, um einen möglichen Hinweis auf Scarrys Identität zu finden. Wer hatte all die üblen Dinge einfädeln und tun können? Wer war wo gewesen und wann? Wie Ulf gesagt hatte: »Wer hat sich da immer wieder aus dem Staub gemacht?«
Praktisch jeder konnte es sein, war die Reise doch höchst unstet und ungeordnet verlaufen. Das war das Problem.
Aber wer trug einen Kopf auf den Schultern, in dem der Plan hatte gedeihen können, die Leute so zu beeinflussen, dass ihnen Adelia wie ein Fluch vorkam, den sie gerne auf einem Scheiterhaufen enden sehen wollten?
Wer nur?
Sie hatten ihre Eindrücke und Erinnerungen so sehr durchleuchtet, dass sie praktisch Scarrys Schuhgröße in Händen hielten, aber sie fanden kein Gesicht dazu.
Am Ende hatte Ulf gesagt: »Wir kommen nicht weiter, was?«
Doch als Adelia jetzt mit Fabrisse aufs Meer hinaussah, wusste sie, dass es nicht so war. Sie
waren
weitergekommen. Scarry glich dem Licht, das da draußen flackerte, ein Versprechen, dass er irgendwo in der Finsternis mit dem gestohlenen Schwert wartete. Warum sie sich so sicher war, wusste Adelia nicht zu sagen, aber sie wusste, dass er auf dem Weg nach Palermo war und sie dort auf ihn treffen würde. Um ihn zu schlagen.
Sie hörte Deniz’ Stimme von der Mauer herunterklingen: »Da rudert einer an Land.«
»Jetzt?«
Es war eine wolkenverhangene, mondlose Nacht, und das Land stach wie ein löchriger Schwamm mit zahllosen verstreuten Inseln aus dem Wasser, die eine bessere, fast undurchschiffbare Verteidigungslinie gegen einen nächtlichen Angriff von See boten als alle Festungsmauern.
»Signal: ›Wartet und zeigt Licht.‹« Deniz kam von der Mauer herunter. »Er bringt Waren.«
»Patricio, Don Patricio. Meine Seide, hurra!« Fabrisse lief, um ihrem Besucher ein Mahl zu bereiten.
Adelia wartete, während Deniz eine Laterne entzündete und dem unsichtbaren Schiff draußen in der Nacht ein Signal zusandte. Anschließend begleitete sie ihn durch die geheime Hinterpforte des Châteaus hinunter zum Strand.
Hinter sich konnten sie Johann nach seinem ältesten Enkel rufen hören. Er solle kommen und die Maultiere vorbereiten helfen, mit denen sie die anlandende Konterbande in den Bergfried schaffen wollten. Zur See hin waren nur die friedlich gegen die Küste schlagenden Wellen zu hören. Adelia hatte sich nicht damit aufgehalten, Schuhe anzuziehen, und der Sand war kalt unter ihren Sohlen. Vom Schiff draußen kamen keine Signale mehr, und so war Deniz mit seiner Laterne ein einsames Glimmen in der Dunkelheit.
»Es ist nicht nur die Seide der Gräfin, oder?«, fragte Adelia. Sie hatte Deniz’ Gesicht im Schein der Laterne gesehen.
Der Türke schüttelte den Kopf. »Er signalisiert: ›Ärger‹.«
Adelia lief zurück, um Mansur und Ulf zu wecken und ihre Schuhe zu holen. Ärger! Gottverdammt, gab es je etwas anderes?
Es wurde ein kaltes Warten. Das nördliche Mittelmeer konnte im Winter eisig werden. Die Männer wärmten sich die Hände an ihren Laternen. Adelia stampfte mit den Füßen auf den Sand und versuchte auszurechnen, was für ein Datum sie hatten. Es musste jetzt, was? … Anfang Januar sein.
Vor fünf Monaten hatte sie sich von Allie verabschiedet. Wenn O’Donnells Ankunft heute Nacht mit einer weiteren Verzögerung einherging, dann … würde sie jemanden umbringen.
Fabrisse kam mit einer eigenen Laterne.
Ulf sah auf. Seine jungen Ohren hatten etwas gehört. Eine Sekunde später hörten sie alle das Knarzen von Rudern in ihren Dollen. Deniz watete ins Wasser und hielt die Laterne in die Höhe.
Mansur und Ulf folgten, um ihm zu helfen, das Ruderboot auf den Strand zu ziehen. Als sie zurückkamen, stützten sie jemanden zwischen
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