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Der Fluch der Totenleserin totenleserin4

Der Fluch der Totenleserin totenleserin4

Titel: Der Fluch der Totenleserin totenleserin4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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die ich mitgebracht habe?«
    Wenig später brachte Deniz einen ledernen, in Silber gefassten Koffer. O’Donnell sah Adelia an. »Wird es hiermit gehen? Ich … äh … ich habe mir dieses Ding aus Arnulfs Kabine entliehen, als der gute Doktor schlief.«
    Im Koffer waren Kalbsledertaschen mit Flaschen, eine abgewetzte Urinliste, fettige Salbentöpfe, Pinzetten, ein verrostetes Instrument um Ausbrennen von Wunden, ein hölzerner Schlegel, vermutlich um schwierige Patienten ruhigzustellen, Zangen zum Zähneziehen, ebenfalls rostig …
    Adelia warf die Instrumente auf den Boden und wühlte durch die Töpfe und Flaschen, öffnete sie und warf auch sie zur Seite. Der zehnte Topf enthielt, wonach sie gesucht hatte, voller Furcht, es zu finden. Ähnlich ging es ihr mit einer der größeren Flaschen.
    Es gab jedoch keine Messer. Als gehorsamer kleiner, religionshöriger Doktor befolgte Arnulf das päpstliche Edikt von 1163 , das jedes Vergießen von Blut verbot.
    »Keine Messer«, sagte sie und schämte sich der Erleichterung in ihrer Stimme.
    »Wofür braucht Ihr Messer?«, fragte der Ire. »Ich hätte einen schönen Dolch, wenn das hilft.«
    »Messer?«, fragte Fabrisse. »Wenn Ihr Messer braucht, ist Johann der Richtige. Er fährt einmal in der Woche nach Leucate. Da gibt es ein paar Juden wie ihn, und er schlachtet für sie. Er ist ein, wie heißt das? … ein Kroschet?«
    »Ein Schochet?« Adelia hob den Kopf. »Er ist ein Schächter?«
    »Ich glaube, schon. Jedenfalls hat er eine schöne Sammlung von Messern, die alle sehr scharf und sehr sauber sind. Da ist er ganz eigen.«
    »Ja«, sagte Adelia. »Ja, das ist er dann wohl.«
    Deswegen waren die Juden oft gesünder als ihre Nachbarn und wurden immer wieder beschuldigt, die christlichen Brunnen zu vergiften, wenn irgendwo die Pest ausbrach. Adelias Pflegevater, Doktor Gershom, selbst ein nicht praktizierender Jude, schob es auf die religiöse Vorschrift, dass das rituelle Schlachtwerkzeug sauber und gepflegt sein müsse. Sein Argument war immer gewesen, dass der alte, stinkende, blutige Dreck an den Messern der nichtjüdischen Schlachter dazu beitrug, ihr Fleisch schlecht werden zu lassen.
    Gott, lieber Gott, jede Entschuldigung, die sie dafür hatte, nichts zu tun, wurde ihr genommen.
    Adelia schloss die Augen und durchdachte ihre Diagnose noch einmal. Der Schmerz im rechten unteren Quadranten des Unterleibes, das Anziehen des Knies, die starren Muskeln – das waren die klassischen Anzeichen, hatte ihr Pflegevater ihr erklärt. An der Leiche eines Kindes hatte er ihr gezeigt, was unter diesen Muskeln lag: der Dickdarm mit einer kleinen, wurmartigen Tasche, die unten daraus hervorwuchs.
    Weder Gershom noch Gordinus, der Afrikaner, ihr Lehrer in der Medizinerschule in Salerno, hatten ihr die Funktion dieses kleinen Fortsatzes erklären können. Gordinus nannte ihn das a
ddimentum vermiformis.
Gershom sprach von einem
appendix
oder
caecum,
»das keinen anderen verdammten Nutzen hat, als krank zu werden.«
    Und Joannas
appendix
war krank.
    Ich brauche Luft! Adelia stand auf und ging hinaus auf den Hof. Sie atmete schwer. Die Dämmerung zog herauf, die Wolken waren weggeblasen, und mit ihrem schnaufenden Hund hinter sich stieg sie die Stufen zur Mauer hinauf, in das Licht eines eiskalten, atemlosen Tages.
    Rechts von ihr füllten zwei Söhne Na Roquas Säcke mit Salz aus den grellweißen Salzpfannen von Salses. Hinter ihnen standen nackte Weinstöcke in ordentlichen Reihen, bereit in der nächsten Saison die Trauben für frischen Salses-Wein zu tragen, der so herb war, dass sich Rüstungen damit säubern ließen.
    Aber es war das Meer, dessentwegen Adelia hier hinaufgestiegen war. Blau und golden lag es in der aufgehenden Sonne, friedlich, und seine Berührung der Küste war wie der regelmäßige Atmen eines Kindes, sein einziger Schmuck die draußen liegende »St. Patrick«. O’Donnells Schiff wiegte sich ruhig am Anker, während seine Passagiere in hellem Aufruhr waren, einige aus Sorge um ihre Prinzessin, Doktor Arnulf aus Verbitterung und Wut, und keiner von ihnen konnte etwas tun, es sei denn, er schwamm die paar Meilen zur Küste.
    Adelia hätte alles gegeben, um ihren Platz mit denen da draußen zu tauschen. »Vater, hilf mir!«, sagte sie, und es war nicht einfach nur Gott, zu dem sie betete, sondern sie richtete sich auch an den Juden, der sie großgezogen und genau dem ins Auge gesehen hatte, dem sie sich jetzt gegenüber fand.
    Die Verantwortung

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