Der Fluch der Totenleserin totenleserin4
könn’n nichts mehr dran ändern. Spar’n wir uns die Luft, um unser p
arritch
zu kühlen.«
Adelia hatte keine Ahnung, was dieses p
arritch
sein sollte, aber sie war ihm dankbar. Der Schotte erwies sich als ein wahrer Fels, genau wie Mansur. Der Marsch über die Berge musste schwer für ihn gewesen sein, nachdem er so krank gewesen war, schwerer als für Ulf, der die Jugend auf seiner Seite hatte. Den ganzen Weg über hatte sie Rankin merkwürdige, unverständliche Flüche murmeln hören, und die Augen unter den buschigen, dunklen Brauen ließen keinen Zweifel daran, dass er seinen Peinigern, wenn er die Hände frei hätte, gewisse Glieder ausreißen würde. Ja, und was dazu noch seltsam tröstend auf Adelia wirkte war der Umstand, dass er in keiner Weise überrascht schien über die Situation, in der sie sich befanden. Vielleicht hatten ihn das Leben im schottischen Hochland und seine Zeit als Söldner im Dienste König Henrys abgehärtet gegen alles, was ihm zustoßen mochte.
Als sie sich verpflichtet fühlte, ihn zu trösten, hatte er ihr nur die Hand getätschelt und gesagt: »Jepp, nun, wie wir zu Hause sagen, mag aus ’m nebligen Morgen noch ’n klarer Tag wer’n.«
Ulf lief immer noch hin und her und ereiferte sich weiter. »Da war was an dem Kerl. Ich hab’ sein Gesicht nicht gesehen, aber so, wie er sich bewegt hat … Ich bin sicher, ich habe ich schon mal gesehen. Jesus Christus, wenn ich nur wüsste, wo!«
Das war eine rhetorische Frage, und er hatte sie schon so oft gestellt, dass sich niemand weiter darum kümmerte. Ulf gab auf und wandte seine Aufmerksamkeit den beiden unverglasten Fenstern des Turmes zu. »Die sind groß genug, dass wir alle rauskönnten, trotz des Mittelpfostens«, sagte er, »wenn wir nur ’n Seil hätten.«
Aber sie hatten kein Seil, und eines der Fenster ging auf den Platz hinaus, der Schwindel erregende dreißig, fünfunddreißig Meter unter ihnen lag. Vom anderen ging es nur etwa halb so tief hinunter, aber auf ein Dach des Palastes.
Jetzt sah er wieder auf den Platz hinaus und fügte dem Hämmern und Sägen, das sie so deutlich hören konnten, seinen Kommentar hinzu.
»Die bauen ’n verdammtes Podium«, sagte er bitter, »wahrscheinlich, damit die feinen Herrschaften nichts verpassen. Gott, die bauen den Mistkerlen sogar ’n Stoffdach, damit sie keinen Regen abkriegen können. Warum hängen sie nicht gleich auch ihre Fahnen auf, wo sie schon mal dabei sind?«
Der Junge quälte sich selbst und die anderen, weil er Excalibur verloren hatte. Adelia wartete, bis Boggart ihr den Fuß mit einem Stück ihres Unterrocks verbunden hatte, und hüpfte zu ihm hinüber. Sie legte ihm einen Arm um die Schultern. »Wir sind alle müde. Schlafen wir ein bisschen!«
»Bis jetzt ist es erst
ein
Scheiterhaufen«, sagte er.
Sie folgte seinem Blick aus dem Fenster. Der Scheiterhaufen stand in der Mitte des Platzes und beherrschte ihn wie ein Maibaum. Die Stapel Holz um ihn herum formten eine Plattform. Fünf weitere Haufen lagen Unheil verheißend vor einer Wand aufgestapelt.
»Wir also nicht«, sagte Ulf. »Noch nicht.«
»Es wird nicht soweit kommen. Wir haben ihnen gesagt, wer wir sind. Sie werden einen Boten zu Prinzessin Joanna oder Rowley geschickt haben. Ich habe ihnen gesagt, dass er in Carcassonne ist. Der Name König Henrys muss einiges Gewicht haben, selbst hier.«
»Wohin haben sie Ermengarde gebracht?«
»Ich weiß es nicht.« Die Katharerin war sofort nach der Befragung weggebracht worden.
»Welcher verräterische Dreckskerl hat denen bloß erzählt, wo sie war?«
Auch darauf hatte Adelia keine Antwort.
»Ich hab sie gemocht«, sagte Ulf.
»Das haben wir alle.« Wir reden bereits in der Vergangenheit von ihr, dachte Adelia.
»Denkt Ihr, Aelith hat’s geschafft?«
»Ich glaube, schon. Lieber Gott, ich hoffe es.«
»Womit haben sich die beiden das eingebrockt? Abgesehen davon, dass sie wie Christen gehandelt haben?«
»Ich weiß es nicht.«
Schließlich konnte sie Ulf dazu überreden, sich zu den anderen auf den Boden zu legen.
Es war kalt dort oben, und man hatte ihnen nicht mal Stroh gegeben, geschweige denn Betten. Essen oder Trinken hatten sie auch nicht bekommen. Der einzige Komfort war ein Eimer, den sie ihnen hineingeworfen hatten.
Trotzdem, nach dem langen schrecklichen Marsch mussten sie jetzt schlafen. Mansur, Rankin und Boggart standen bereits kurz davor. Während Adelia zusah, wie sich Ulfs verdrießliches junges Gesicht entspannte,
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