Der Fluch der Totenleserin totenleserin4
liebsten würde er sich den Kopf abreißen.
Deniz machte ihr Schuhe. Sein Maultier trug ein wahres Füllhorn auf seinem Rücken, aus dem der kleine Türke eine große Nadel zog, geölten Faden, Leinen und ein Stück Leder.
Schon machte er sich an die Arbeit, und die geflohenen Gefangenen taten ihr Bestes, sich zu reinigen. Während die Männer mit pflichtbewusst abgewandten Blick vor dem Höhleneingang warteten, zogen sich die beiden Frauen aus und benutzten den See als Waschzuber für sich und ihre Kleider. Adelia versuchte Boggart zu überreden, ganz unterzutauchen, wie auch sie es tat, aber das Mädchen blieb mit Ward am Rand, wusch sich und schob ihre Schwangerschaft vor. »Wär ’n Schock fürs Baby, Missus.«
Vielleicht hatte sie recht. Das Wasser war sehr kalt, aber für Adelia bedeutete die Kälte ein Art Taufe, eine Reinigung nicht nur ihres Körpers, sondern auch ihrer Seele, wenigstens teilweise.
Woran immer es lag, sie stieg mit neuer Entschlossenheit aus dem Wasser. Ich lebe und werde gottverdammt auch am Leben bleiben. Ich schaffe es zurück zu Allie.
Seife gab es keine im Maultiergepäck, was die Kleiderwäsche weniger erfolgreich machte. Auch geschrubbt und in der Sonne getrocknet, waren die Kleider der Geretteten nur ein ärmlicher Ersatz für ihre gewohnte Ausstattung. Die Schärpe, die O’Donnell Adelia gab, damit sie sich eine Schlinge für ihren Arm daraus band, hob sich wahrhaft prächtig von Rest ihrer Kleider ab.
Er holte auch einen alten Umhang mit Kapuze hervor, unter der Mansur seinen ruinierten Kopfputz verstecken konnte, den er keinesfalls ablegen wollte.
»Umso besser, wenn man uns in diesem Aufzug sieht«, sagte O’Donnell, als alle wieder ganz bekleidet waren. »Pilger in Lumpen auf dem Weg nach Compostela, mit nichts als einem Kreuz in der Tasche, um den Teufel vom Tanzen abzuhalten, wie meine alte Großmutter immer sagte.«
Er wollte sie nicht länger als zwei Tage in der Höhle rasten lassen. »Denn wenn ich sie kenne, kennen sie unsere Verfolger vielleicht auch.«
Aber woher kannte der Ire die Höhle? Ulf, der lange und eingehend mit O’Donnell geredet hatte, grinste, als Adelia ihm diese Frage stellte. »Er ist im Schmugglergeschäft, Missus, habt Ihr das noch nicht begriffen? In diesen Höhlen finden sich nicht nur entflohene Gefangene.«
Ein Mann verschiedener Aktivitäten also: Flottenbesitzer, Transporteur von Kreuzfahrern, Schmuggler, Mörder und Erretter …
Er verwirrte Adelia. Trotz allem, was sie ihm verdankte, fühlte sie sich in seiner Gesellschaft immer noch unwohl. Die anderen nicht. Für sie war er ein Engel, dem allein die Flügel fehlten.
Mansur, der sie nur zu gut kannte, sagte leise: »Er musste die Wachen zum Schweigen bringen, Delia, und es gab keine andere Möglichkeit, als es mit dem Messer zu tun.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Ich wünschte nur …«
Sie ließ zu viele Tote hinter sich zurück.
Ulf fragte den Iren nach den Einzelheiten dessen aus, was in Figères geschehen war, und kam anschließend zu Adelia gestürmt, die sich gerade etwas ausruhte.
»Habt Ihr das gehört? Sie haben uns verleugnet. Verdammte Judasse, allesamt. Sie haben Nachricht nach Aveyron geschickt, dass wir nicht zu ihnen gehören.
Nicht zu ihnen gehören.
« Ulf platzte fast vor Wut. »Glaubt Ihr es mir jetzt endlich? Da fädelt einer was Übles ein.«
»Gut, sie hätten sich zur Sicherheit vielleicht selbst überzeugen sollen, sind aber bestimmt davon ausgegangen, dass Mansur, Boggart und ich bereits auf dem Weg zurück nach England waren. Sie konnten nicht erwarten …«
»Sich
vielleicht
überzeugen sollen? Um Haaresbreite hätten sie uns alle verbrennen lassen, und zwar mit Absicht.«
»Nein«, sagte Adelia mit fester Stimme. »Was immer da geschehen ist, beabsichtigt war es sicher so nicht.«
Die Schultern des Jungen sackten zusammen. Er schickte einen verzweifelten Blick zu den anderen hinüber und ließ sie allein.
In der zweiten Nacht machten sie sich wieder auf den Weg, im Licht des Mondes. Adelia hätte es lieber gehabt, wenn sie länger ausgeruht hätten, um Boggarts, wenn schon nicht um ihrer selbst willen. Aber O’Donnell bestand darauf, dass sie weiterzogen, weil sich Aveyrons Männer womöglich daran machten, die Höhlen der Gegend zu durchsuchen.
»Unser guter Bischof lässt sich nicht so einfach seiner menschlichen Fackeln berauben. Er will seinen eigenen Kreuzzug führen und dem Papst ein Exempel statuieren.«
»Wohin ziehen
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