Der Fluch des Andvari (German Edition)
Holzscheite. Vermutlich die Tatwaffe. Auf dem schweren Eichentisch standen eine Dockingstation, in der der Laptop fehlte, und mehrere Bücher. Papiere und Fotos lagen überall verstreut. Es schien einen heftigen Kampf gegeben zu haben.
Röwer näherte sich dem Opfer. Der Professor war tot; aber noch nicht lange. Alles wirkte wie Raubmord. Zumindest wollte der Mörder das der Polizei glauben machen. Der Kommissar wusste, dass er Mitschuld an diesem Verbrechen trug. Bestimmt hatte der Orden das Handytelefonat am Morgen mitgehört und den Professor nun mundtot gemacht. Röwer fluchte leise. Aber vielleicht hatte der Täter nicht alle Beweise vernichtet.
Er erhob sich und blickte sich aufmerksam um. Auf dem Kaminsims sah er einen Stapel Fotos. Es schien, als wären sie bewusst dort platziert worden. Es passte nicht zu der ansonsten herrschenden Unordnung, die der Mörder hinterlassen hatte. Nachdenklich griff sich Röwer den Stapel und betrachtete die Fotos. Sie zeigten eine blonde Frau bei einer Feier, die in einem Büroraum stattgefunden hatte. Das Kleid, das sie trug, und die Umgebung entsprachen dem Stil der fünfziger Jahre. Weitere Fotos zeigten dieselbe Frau bei unterschiedlichen Anlässen in gehobenen Kreisen; auf einem war deutlich das Jahr 1987 auf einem Kalender zu erkennen. Aber die Frau war im selben Alter! Konnte das sein? Röwer erinnerte sich. Was hatte er im Tagebuch von Heinrich Wolff gelesen? Brünhild alterte nicht und wusste dies gut zu verbergen, indem sie sich immer wieder neue Identitäten zulegte. So lebte sie von Zeitalter zu Zeitalter. Aber eine andere Tatsache traf ihn wie ein Blitz: die Identität der Blondine. Röwer erkannte die Frau! Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Mit dieser Erkenntnis erschienen viele Zusammenhänge mit einem Mal in einem völlig neuem Licht - vor allem aber ein entscheidender Punkt: die Identität von Thor.
Plötzlich vernahm Röwer Sirenengeheul. Hatten die Nachbarn ihn gesehen, wie er mit gezogener Waffe das Haus betreten hatte? Sie mussten von einem Einbruch ausgehen. Ohne Hast sah er sich im Zimmer um, ob es noch weitere verwertbare Spuren gab. Ein kleiner Notizblock, der unter einem dicken Buch verborgen lag, weckte seine Aufmerksamkeit. Den steckte Röwer schnell in seine Jackentasche, denn Türen klapperten, Schritte näherten sich.
Der Kommissar holte seinen Ausweis heraus und rief: „Hier drüben! Im Wohnzimmer!“
Zwei uniformierte Beamte kamen mit gezogener Waffe herein. „Polizei! Hände hoch!“
„Kriminaloberkommissar Röwer von der Direktion elf in Mainz“, erwiderte er ruhig und hielt ihnen den Ausweis hin. „Ich habe den Toten gefunden.“
„Pech für dich“, erwiderte einer von beiden.
Röwer stutzte.
„Na los, zieh deine Waffe“, fügte er hinzu.
Das waren keine Polizisten, erkannte der Kommissar augenblicklich.
„Auf frischer Tat ertappt“, lachte sein Kumpan.
„Ihr glaubt doch nicht, dass ihr damit durchkommt?“, konterte Röwer trocken.
„Jedenfalls bist du dann tot.“
„Ja, mausetot.“
Die beiden Männer lachten. Der Kommissar nutzte den Moment. Blitzschnell hechtete er zu dem Eichentisch, riss ihn um, nutzte ihn als Deckung. Die Polizisten schossen sofort. Die Kugeln schlugen in das Holz. Mit einem weiteren Hechtsprung schaffte es Röwer bis zu einem der Sessel, während er dabei zwei Schüsse abgab. Die Männer erwiderten das Feuer, bis ihre Magazine leer waren. Der Kommissar zielte und schoss. Getroffen brachen die beiden Polizisten zusammen.
Jetzt durfte er keine Verzögerung mehr zulassen. Hannah war in Lebensgefahr! Und Hansen erwartete ihn am Binger Loch- der einzige Mensch, der ihm jetzt noch helfen konnte. Er musste die Sache für ihn klären, denn spätestens in einer Stunde würde eine landesweite Fahndung nach Röwer laufen. Die gesamte Polizei würde hinter ihm her sein und morgen sicherlich auch die Presse. Der Orden hatte es geschafft – der Kommissar, der zum Mörder wurde.
Als er zu seinem Audi lief, standen hinter den Fenstern die verschreckten Nachbarn. Sie würden alle bezeugen, dass er der Täter war. Aber das war dem Kommissar im Moment egal. Die Zukunft der gesamten Welt stand auf dem Spiel. Er musste den Orden aufhalten.
Kühle hielt Hannahs Körper umklammert, während sie sich prüfend im Dom umsah. Es war ein normales Empfinden in hohen Domen. Aber heute und hier war es mehr, als nur die übliche Frische. Es war die Kälte, die die Finsternis ausstrahlte und die Hannah
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