Der Fluch des Andvari (German Edition)
Stimmen Sie mir zu, Loki?“
Steinhagen versuchte, weiterhin gelassen zu bleiben. „Selbstverständlich, Thor. Der Kollaborateur muss eliminiert werden.“
„Haben Sie wenigstens herausgefunden, welche Dienststelle in Mainz die Ermittlungen aufgenommen und wer die Tote gefunden hat?“
„Der Mann heißt Jochen Röwer, Kriminaloberkommissar, von der Direktion elf. 37 Jahre, geschieden. Er war Jahrgangsbester auf der Polizeischule, ein Aufsteiger, strebsam, ist bereits mehrfach ausgezeichnet worden für vorbildliche Leistungen. Seine Frau hat sich vor vier Jahren von ihm getrennt und ist mit dem gemeinsamen Sohn nach Berlin gezogen. Sie haben kaum noch Kontakt miteinander.“
„Lassen Sie ihn beschatten, Loki. Wenn er uns Schwierigkeiten machen sollte, kaufen Sie ihn.“
„Das wird, fürchte ich, nicht einfach.“
„Wieso nicht?“
„Er ist der Neffe von Manfred Röwer, dem BKA-Kommissar.“
Thor schwieg einen Moment. „Nun, wenn es sich nicht vermeiden lässt, wird er das Schicksal seines Onkels teilen. Aber unternehmen Sie nichts ohne Rücksprache mit mir. Verstanden?“
„Ja, Thor.“
„Und wer ist die von der Presse erwähnte Anwohnerin?“
Steinhagen zögerte mit der Antwort.
„Ihre Antwort“, wiederholte Thor.
„Sie ist eine ehemalige Journalistin, die auf dem Weg zur Arbeit war.“
„Ihr Name?“
„Hannah Jenning, die Tochter des mächtigen Verlegers.“
„Das ist interessant.“ Es entstand eine kurze Pause. „Das ist äußerst interessant, nicht wahr?“
„Ich weiß nicht, worauf Sie hinaus wollen?“, provozierte Steinhagen.
„Seien Sie auf der Hut, Loki“, entgegnete Thor streng. „Niemand wird mich ungestraft hintergehen. Jetzt führen Sie meine Befehle aus, Loki.“
Die Verbindung brach ab.
Steinhagen lehnte sich in seinen dicken Ledersessel zurück. Das Telefonat erfüllte ihn mit Zufriedenheit. Thor zeigte erste Schwächen. Die Wahrheit über die Zeugin schien den Meister stärker getroffen zu haben, als der eingestanden hatte. Steinhagens Plan war aufgegangen. Denn er selbst hatte Holler befohlen, die Tote im Park abzulegen. Ein gewagtes Unterfangen. Doch wenn er es richtig anging, dann könnte er Thor tatsächlich in arge Bedrängnis bringen und der Weg wäre frei für ihn. Dann würde er der Meister des Ordens werden und die unumschränkte Macht besitzen.
Hamburg. Außen Alster.
Versunken in ihr Buch lag Julia Jenning auf dem Sofa und las Seite um Seite. Die Handlung des Fantasy-Romans nahm sie völlig gefangen. Es war eine Geschichte über die Mysterien des Alten Ägyptens. Im Hintergrund lief CD-Musik von Vanilla-Ninja, ihrer derzeitigen LieblingsGirlgroup.
Seit Julia denken konnte, war sie fasziniert von den Geheimnissen und Mythen dieser Welt. Anfangs waren es Märchenbücher gewesen, die ihr ihre Mutter vorgelesen hatte, Geschichten über Zwerge, edle Prinzen, böse Königinnen und sprechende Tiere. Mit der Zeit wuchs ihr Verständnis für die Historie und die Kulturen der Menschen. Es begeisterte sie mehr als alles andere. Ihre Freundinnen nannten sie bereits ‚Fräulein Schliemann‘ in Anspielung auf Heinrich Schliemann, den berühmten deutschen Archäologen, der das legendäre Troja entdeckt hatte. Julia war sich sicher, sie würde Archäologie und Altertumskunde studieren. Und dann würde sie in ferne Länder reisen, um die letzten Geheimnisse der Menschheit zu enträtseln. Davon träumte sie oft.
Es klopfte. Eine ältere Frau trat ein. „Wusste ich doch, dass ich dich hier finde“, äußerte sie fröhlich.
„Hallo, Oma.“
„Hast du denn gar keinen Hunger, mein Kind?“
Julia verzog das Gesicht. Sie spürte ein leichtes Magenknurren. „Doch, schon.“ Aber sie wollte die Geschichte unbedingt zu Ende lesen.
„Der Tisch ist bereits gedeckt.“
Julia haderte. Den Rest des Buches würde sie unmöglich in den nächsten Minuten schaffen. Aber vor dem Schlafengehen hätte sie noch Zeit. „Okay“, sagte sie und schwang sich vom Sofa.
„Opa hat eine Überraschung für dich.“
Freude packte Julia. „Super.“
Strahlend sah sie ihre Oma an. Doch Dorothea Jenning schwieg, schaltete lediglich den CD-Spieler aus und drängte ihre Enkelin sanft aus dem Zimmer. Vergnügt stieg Julia die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, die in eine Halle mündete.
Es war eine große Villa. Mit Schrecken erinnerte sich Julia daran, wie sie sich einmal als kleines Mädchen hier verlaufen hatte. So viele Korridore und Zimmer. Laut hatte sie nach ihrer Mutter
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