Der Fluch des Andvari (German Edition)
der Tür ihrer Tochter. Alles war ruhig. Dann ging sie zum Badezimmer weiter. Dort duschte sie. Als sie wieder in den Flur trat, stutzte sie. Ein eisiges Kribbeln jagte ihr den Rücken hinunter. Intuitiv spürte sie die Gefahr.
Sie war nicht allein!
Atemlos verharrte sie am Türpfosten, während ihre Hand nach dem Lichtschalter tastete. Ihre Augen waren durch die Helligkeit im Bad noch zu stark geblendet, als dass sie etwas in dem Zwielicht der Wohnung erkennen konnte. Zitternd betätigte sie den Schalter. Der Flur erhellte sich. Am oberen Ende lag das Wohnzimmer, rechts die Tür zum Treppenhaus. Mit angehaltenem Atem lauschte Hannah.
Nichts.
Hatten ihr die Sinne einen Streich gespielt?
Plötzlich huschte ein Schatten durch das Wohnzimmer. Hannah zuckte zusammen, schrie stumm auf.
Es war jemand hier!
Was sollte sie tun? Ihr Herz hämmerte. Langsam wanderte ihre Hand zum Telefon, das rechts auf der Kommode stand. Da hörte sie, wie die Balkontür geöffnet wurde. Sie spürte den Luftzug. Ohne weiter nachzudenken, rannte sie ins Wohnzimmer. Dort sah sie noch eine dunkle Gestalt, die sich über die Brüstung des Balkons schwang und verschwand. Hannahs Hand klatschte auf den Lichtschalter, das Zimmer erhellte sich. Hastig schloss sie die Balkontür und wollte zu Julias Zimmer. Da sah sie einen kleinen braunen Umschlag auf dem Tisch liegen. Der Unbekannte musste ihn dort abgelegt haben.
Doch ihre Sorge galt ihrer Tochter. Sie eilte zum Kinderzimmer. Dieses Mal öffnete sie die Tür. Aber ihre Angst war unbegründet. Das Mädchen schlief friedlich. Leise schloss Hannah die Tür wieder und ging ins Wohnzimmer zurück.
Dort nahm sie den Brief auf. ‚Hannah Jenning‘ stand in Blockschrift darauf. Ohne zu zögern öffnete sie ihn und zog ein zusammengefaltetes DIN A4-Blatt heraus. Als sie den Text sah, erschrak sie. Runen, germanische Schriftzeichen. Verwirrt sank Hannah auf das Sofa. Wer verfasste Briefe in dieser alten Schrift? Sie brauchte jemanden, der diese Zeichen lesen konnte. Es gab nur einen Menschen, der ihr jetzt helfen konnte: Kommissar Röwer.
Entschlossen ging sie zur Garderobe und nahm die Visitenkarte aus ihrer Jacke. ‚Sie können mich jederzeit erreichen‘, erinnerte sie sich an seine Worte. Sofort wählte sie die Handynummer. Nach einigen Freizeichen kam die Verbindung zustande.
„Röwer.“ Er wirkte schläfrig.
„Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie so früh störe, Herr Röwer. Hier ist Hannah Jenning.“
„Hannah Jenning?“, entgegnete er überrascht. „Nein, nein, Sie stören nicht.“
„Ich muss Sie treffen. Sofort.“
„Was ist passiert?“
„Es war jemand in meiner Wohnung.“
„Sind Sie verletzt?“
„Nein, mir geht es gut. Aber der Kerl hat mir einen Zettel mit Runenzeichen hinterlassen.“
„Runenzeichen? Sind Sie noch zu Hause?“
„Ja.“
„Dann warten Sie dort. Ich bin in zwanzig Minuten bei Ihnen.“
„Ja, okay.“
„In der Zwischenzeit beruhigen Sie sich. Sie müssen sich keine Sorgen machen.“
Dann trennte er die Verbindung.
Sie atmete einige Male tief ein und aus. Keine Sorgen machen - was dachte sich der Kommissar? Ein Mann war in ihre Wohnung eingedrungen. Er hätte sie töten oder Julia etwas antun können.
Zwanzig Minuten später klingelte es an Hannahs Wohnungstür. Sie war erleichtert, endlich den Kommissar zu sehen.
„Geht es Ihnen gut?“, war seine erste Frage.
„Uns ist nichts passiert.“
„Uns?“
„Meiner Tochter und mir.“
„Entschuldigung. Ich wusste nicht, dass Sie verheiratet sind.
„Geschieden“, korrigierte sie den Kommissar rasch. „Ich bin allein erziehende Mutter.“ Als sie bemerkte, dass sie noch immer an der Tür stand, wich sie zurück. „Entschuldigung. Bitte kommen Sie rein.“
Röwer quittierte es mit einem Nicken. „Jetzt erzählen Sie erst einmal, was geschehen ist.“
Hastig berichtete sie ihm von den Ereignissen, während sie ins Wohnzimmer gingen. Der Kommissar hörte aufmerksam zu und musterte alles ganz genau.
„Wollen Sie sich denn den Umschlag nicht mal ansehen?“, fragte Hannah und deutete auf den Tisch.
„Oh, ja, natürlich.“ Er zog sich Latexhandschuhe über und begutachtete das Schriftstück. „Ich nehme den Brief zur Untersuchung mit ins Labor. Wenngleich ich wenig Hoffnung habe, Fingerabdrücke darauf zu finden.“
Hannah sah Röwer ernst an. „Sie haben schon öfters solche Briefe gesehen, nicht wahr?“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Ihr Tonfall am Telefon hat es mir
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