Der Fluch des Andvari (German Edition)
hatten. Doch all die Zärtlichkeiten konnten den Schmerz in ihr nicht überdecken. Danach hatte sie vier Wochen keinen Kontakt mit ihm zugelassen. Bis er eines Abends vor ihrer Tür gestanden hatte. Sie hatten die ganze Nacht geredet. Seitdem waren sie gute Freunde - nicht mehr. Mit ihrem Vater hatte sie nie über dieses Techtelmechtel gesprochen; er würde etwas hineininterpretieren, was sie vielleicht nicht erfüllen könnte. Nein - sie wollte derzeit keine ernste Beziehung.
Nach einem kurzen Dialog beendete sie das Telefonat. Nächste Woche auf der Geburtstagsfeier würden sie sich wiedersehen.
Jetzt wollte Hannah entspannen. Sie brauchte etwas Abwechslung und schaltete das Fernsehgerät ein. Wahllos zappte sie durch die Programme, bis sie schließlich bei einer Tragikromanze mit Anthony Hopkins und dem smarten Brad Pitt hängen blieb: Rendezvous mit Joe Black. Genau das richtige, was sie jetzt brauchte. Die x-te Wiederholung, doch sie mochte Liebesfilme. Hannah genoss ihren Wein und ließ sich von der Filmhandlung fesseln.
Als der Abspann lief, schaltete sie das Fernsehgerät schließlich aus. Zeit, schlafen zu gehen. Auf dem Weg ins Badezimmer gähnte sie ungeniert. Rasch wusch sie sich und schaute kurz bei ihrer Tochter vorbei. Julia schlief tief und fest. Wenige Minuten später lag Hannah im Bett und schlief gleich darauf ein.
Nächtliche Stille erfüllte die Ritterstraße. Nirgends brannte mehr Licht in den Häusern. Die Menschen schliefen bereits.
Und doch rührte sich etwas auf der Straße. Eine hoch gewachsene, blonde Frau wandelte geräuschlos über den Bürgersteig. Mit ihren blauen Augen prüfte sie aufmerksam die Umgebung, erfasste jede Gegebenheit. Nichts entging ihrer Achtsamkeit. Jahrhundertelanges Training ließ sie noch in beinaher Dunkelheit sehen und vortrefflich hören.
Sie war die Walküre Brünhild, die Königin der Nibelungen.
Doch Reich und Herrschaft waren längst vergangen. Verletzter Stolz hatte den Untergang beschworen. Mit Wehmut erinnerte sich Brünhild an jenen Augenblick auf Island, damals vor mehr aus 1500 Jahren, als Sigurd den Panzer aufgeschnitten hatte, der ihren Körper umschlossen hatte. Odin hatte sie zu ewigem Schlaf gebannt, weil sie ihm auf dem Schlachtfeld den Gehorsam verweigert hatte. Sie hatte Odins Günstling den Tod gebracht und damit für Walhall erwählt und dafür dessen Gegner das Leben geschenkt. Daraufhin verstieß Odin sie aus Walhall und zwang sie, einem Mann Untertan zu sein. Doch sie weigerte sich. So strafte Odin sie mit dem Schlafdorn und sperrte sie in eine Flammenburg. Aber Sigurd, ein Krieger, der seinesgleichen suchte, durchschritt die Feuerwand, die Brünhilds Schloss umgab und erlöste sie schließlich von dem Bann. Es war Liebe auf den ersten Blick, sie schwuren sich heilige Eide und verlebten eine Zeit voller Ekstasen. Als Beweis seiner Treue schenkte Sigurd ihr den Ring Andvaranaut, jenes verfluchte Schmuckstück aus dem unermesslichen Schatz des Zwergen Andvari.
Dann kann der Tag, an dem er Brünhild verließ, um weiter zu Ruhm und Ehren zu gelangen. Er schwor jedoch, zu seiner Geliebten zurückzukehren. Sein Weg führte ihn schließlich an den Rhein, ins Reich der Burgunder, wo ihn König Gunnar freundlich aufnahm und Sigurd am Hofe in hohen Ehren lebte. Doch die Königinmutter wollte den Helden und seinen Schatz für ihr Haus gewinnen. Heimlich braute sie einen Trank des Vergessens und reichte ihn Sigurd beim Gastmahl. Von diesem Moment an war seine Liebe zu Brünhild ausgelöscht und er verlobte sich mit der Schwester des Königs, der bildhübschen Gudrun, die die heutigen Menschen als Kriemhild kannten. Damit begann das Verhängnis. Denn der König wollte sich gleichfalls vermählen, mit Brünhild, um die er mit Sigurds Hilfe werben wollte. Er wusste, dass er gegen die Kraft der schönen Walküre niemals ankommen würde. So nutzte er einen arglistigen Zauber, der Gunnar und Sigurd die Gestalt tauschen ließ, und bezwang Brünhild letztlich. Sie war bestürzt, glaubte sie doch, Sigurd wäre endlich heimgekehrt. Aber sie war an ihr Gelübde gebunden, sich dem Mann zu beugen, der sich mit ihrer Kraft messen konnte. So blieb ihr kein Ausweg, als dem König an den Rhein zu folgen. Auch verlor sie Sigurds Ring an Gudrun, da Gunnar ihr seinen Brautring ansteckte. Es folgte eine grandiose Doppelhochzeit, bei der Brünhild ihren Geliebten wiedersah, doch mit einer anderen vermählt fand.
Damals wusste sie noch nichts von den Zauberkräften,
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