Der Fluch Des Bierzauberers
verklausulierte Briefe, die er manchmal selbst nicht mehr entschlüsseln konnte. Daher verbrannte er sie sicherheitshalber, weil sogar Lisbeth, die bei diesem Zeitvertreib bei Weitem größeres Talent bewies als er, die Schrift nicht mehr übertragen konnte.
»Sicher ist sicher«, traute er niemandem mehr über den Weg. Und über die Kenntnis der Chiffren dachte er: Wer weiß, wozu es gut ist. Man kann ja nie wissen.
In und um die Stadt wurde es, trotz der angeblich fortgeschrittenen Friedensverhandlungen, nicht ruhiger. Ganz im Gegenteil. Als hätten die plündernden Heerhaufen verstanden, dass ihre Zeit ablief, stand nun alle paar Wochen irgendein räuberischer Trupp vor der Stadtmauer, forderte über Trompeter die Bürgerschaft zur Übergabe der Stadt auf und zog nach einigen Tagen unverrichteter Dinge wieder von dannen.
Langsam keimte in Knoll eine Idee auf. Nachdem er festgestellt hatte, dass niemand diese Ereignisse notierte, entschied er eines Tages, sich in Zukunft als Chronist der Stadt zu betätigen. »Ich werde ein Tagebuch führen und alles aufzeichnen, was wert ist, aufgezeichnet zu werden«, beschied er seiner Tochter, die dies begeistert zur Kenntnis nahm. »Ich will kein Philosoph des Krieges sein und auch keine Kassandra, sondern nur ein einfacher Chronist.« Er war der Meinung, es wäre doch gar zu schade, wenn die Untaten, die von den Lothringern, den Staatischen und anderen Kriegsparteien in und um Bitburg verübt wurden, später der Vergessenheit anheimfallen würden. »Generationen, die uns nachfolgen, sollen sich an die Namen der Schurken erinnern können: Baron de Fours, Conte de Luneville, Oberstleutnant Montaubant, Baron de Molle, Baron de Chatelet, Oberst Hacquefort. Sie sind um keinen Deut besser als die Schlächter von Magdeburg!«
Zu Beginn des Sommers 1646 begann Cord Heinrich Knoll mit seinen Niederschriften über Bitburg, aber auch über Ereignisse aus der Umgebung. Anfangs nüchtern, eher trocken, ließ er sich im Laufe der Zeit zu persönlichen Kommentaren hinreißen oder zu bissigen bis schadenfrohen Bemerkungen.
Auszüge aus den ersten Notizen aus dem Jahr 1646:
Soeben ist nun der Obrist Baron de Fours mit seiner Compagnie und siebzig Pferden und dem Regimentsstab ins Quartier gekommen. Wir müssen ihnen zu essen und zu trinken geben nach ihrem Belieben.
Die Bauwerke des Hospitals und der Kirche sind ruiniert und vernachlässigt. Der Gottesdienst wird nicht in gehöriger Weise versehen. Der Propst Lothar von der Horst ist zu rügen.
Ob die Rüge noch angebracht werden konnte, ist nicht bekannt, denn bereits im nächsten Bericht mischten sich Trauer mit unbändiger, jedoch berechtigter Schadenfreude:
Eine staatische Partei hat das Dorf Echtershausen heimgesucht. Dabei den Propst Lothar von der Horst niedergemacht. Das Dorf wurde danach in Brand gesteckt und das Vieh weggetrieben. Schad ums Vieh, schad um die Leut. Über den Propst freut sich der Teufel, Halleluja.
Somit war der große Feind und Widersacher ohne Knolls Zutun tot.
So begann das Jahr 1647:
Um den 20. Februar sind etliche Lothringer Regimenter unter dem Kommando des Grafen von Luneville in die Eifel in das Trier’sche Land gekommen. Haben Prüm eingenommen. Alles verderbt und versengt haben die Bauernschinder, so wie es ihre Gewohnheit mit sich bringt.
Wiederum ist der Obrist Baron de Fours ins Quartier gezogen. Haben ihm auf zwei Monate tausend Carolus-Gulden geben müssen und hundert Reichstaler für Service, Essen und Trinken für die Soldaten, Heu und Hafer für die Pferde. Daneben haben wir noch zu unterhalten gehabt dreißig Musketiere samt Leutnant und zwanzig Weibern mit fünfundzwanzig Kindern vom Regiment des Herrn General Becken. Der Henker segne ihnen allesamt ihren Käs’!
Mein Kind, die Lisbeth, hat die Pocken gehabt und zu dieser Zeit sind viele Kinder daran gestorben. Meine Lisbeth aber ist wieder gesund geworden.
Auch Sorgen um die Ernte – und somit ums Bier, wurden eingetragen:
Dies Jahr wird man nicht viel Korn verkaufen, ist alles in ganz üblem Stand!
Im April gerieten die beiden Heeresparteien, die beide in Bitburg Quartier machten, aneinander, und Knoll befand sich mittendrin:
Den 23. April auf Osterdienstag hat sich der Obrist Baron
de Fours ganz rebellisch angestellt, den Leutnant vom Becken’schen Regiment gefangen genommen, die Wachen vertrieben und samt den Bürgern den Soldaten das Gewehr abgenommen. Darauf sind etliche von uns auf das
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