Der Fluch des Denver Kristoff
intelligent bezeichnet hatte. Seit ihr Vater seinen Job verloren hatte, war er so gestresst, dass er niemals Zeit hatte, sie zu loben – als er den Job noch hatte, war es allerdings auch nicht viel besser gewesen. Ihre Mutter betonte zwar immer, wie stolz sie auf ihr cleveres Mädchen war, aber das zählte nicht. Jede Mutter behauptete das von ihren Kindern. Die Lehrer in der Schule bemerkten es natürlich, aber es gab nichts Schlimmeres als das Kompliment eines Lehrers. Darauf konnte man sich erst etwas einbilden, wenn man auf dem College war und der Lehrer mindestens einen Doktortitel hatte.
»Und als intelligente Frauen«, riss die Windfurie sie aus ihren Gedanken, »haben wir ein Recht darauf, dieses mächtige Buch zu benutzen.«
»Wann haben Sie eigentlich davon erfahren?«, wollte Cordelia wissen.
Die Windfurie seufzte. »Willst du dir das wirklich anhören? Werden dich die Erinnerungen einer alten Frau nicht langweilen?«
»Oh, nein, überhaupt nicht«, sagte Cordelia. »Bitte, erzählen Sie.«
»Ich war gerade acht Jahre alt. Eines Abends, als ich wieder einmal nicht schlafen konnte, stand ich heimlich auf, schlich meinem Vater nach und beobachtete, wie er mit dem Buch hantierte. Du kannst dir sicher vorstellen, wie fasziniert ich war, als ich herausfand, was er alles herbeizaubern konnte … aber als er merkte, dass ich ihn dabei ertappt hatte, wurde er sehr wütend. Noch nie hatte er mich derart angeschrien. Ich war so erschrocken, dass ich in Tränen ausbrach. Um mich zu beruhigen, machte mein Vater irgendetwas mit dem Buch – und plötzlich hielt ich ein neues Stofftier im Arm. Ich begriff, dass man mithilfe dieses Buches Wünsche wahr werden lassen konnte. Zuerst war es nur ein kleines Stofftier … dann bekam ich ein Puppenhaus … Schokolade … alles, wovon ein kleines Mädchen damals träumte. Doch ich musste meinem Vater versprechen, dieses magische Buch niemals allein aufzuschlagen. Ich habe das Versprechen einige Jahre lang gehalten … bis ich dreizehn war.«
»Was ist dann passiert?«, fragte Cordelia atemlos.
»Ich hatte in der Zeit oft Ärger mit ein paar Mädchen aus meiner Schulklasse. Besonders eine von ihnen, Charlotte Le-Vernais hieß sie, war besonders gemein zu mir. Sie machte sich über mich lustig, über die Art, wie ich redete, über meine Kleider.«
»Sie wurden gemobbt?«
»Ja, so nennt man das heute wohl. Damals hieß es immer nur, Kinder seien nun mal so. Doch sie wollte mich einfach nicht in Ruhe lassen, es wurde immer schlimmer und irgendwann habe ich es nicht länger ausgehalten. Ich habe mich in die geheime Kammer meines Vaters geschlichen und mir von dem Buch etwas gewünscht, damit Charlotte endlich aufhörte, mich zu ärgern.«
»Das kann ich gut verstehen«, sagte Cordelia. »So ein Buch hätte ich auch gern gehabt, als so ein blödes Mädchen in meiner Klasse mich ständig geärgert hat, und ich war erst acht …«
»Ich habe mir gewünscht, dass Charlotte ihre Stimme verliert«, schnitt ihr die Windfurie das Wort ab. »Ihre Stimmbänder sollten sich in Luft auflösen. Sie sollte nie wieder sprechen können und in ihrem ganzen Leben nie wieder jemanden so verletzen.«
»Wow«, sagte Cordelia, »ein bisschen übertrieben, finden Sie nicht?«
»Aber es hat funktioniert«, sagte die Windfurie. »Daraufhin habe ich das Buch immer wieder benutzt, um mir meine geheimsten Wünsche zu erfüllen: Ich habe mir gewünscht, dass ich in der Schule bei allen beliebt bin und dass sich die hübschesten Jungen in mich verlieben. Auf einmal war ich glücklich. Es hätte ewig so weitergehen können, wenn mein Vater nicht irgendwann eingegriffen hätte.«
Cordelia sagte nichts, sie war gespannt, wie es wohl weitergehen würde.
»Er war schwach«, klagte die Windfurie. »Er hatte Angst, dass dieses Buch mich in einen anderen Menschen verwandeln würde, so wie es aus ihm am Ende den Sturmkönig gemacht hatte.«
»Wie ist es eigentlich dazu gekommen?«, fragte Cordelia.
»Aus irgendeinem Grund war mein Vater davon überzeugt, dass er das Große Beben von San Francisco ausgelöst hatte, indem er das Buch von seinem ursprünglichen Ort entfernt hatte. Das brachte ihn schließlich auf eine Idee: Wie wäre es wohl, wenn er in der Lage wäre, das Wetter zu beeinflussen und damit ganze Naturkatastrophen auszulösen? Das würde ihm grenzenlose Macht schenken, Gottesmacht! Er begann, Stürme heraufzubeschwören, jeder schlimmer als der vorherige. Sein letzter Sturm war so
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