Der Fluch des Denver Kristoff
Reihe nach freundlich an.
»Ich weiß, ich rede zu viel. Das liegt sicher daran, dass mir nicht mehr viele Freunde geblieben sind. Meine Tage sind gezählt.«
»Oh, das tut mir leid!«, sagte Mrs Walker. »Die Gesundheit …?«
»Ach, nichts Ernstes. Nichts ist von Dauer. Ach, ich hätte es gar nicht erwähnen sollen! Bitte, lassen Sie sich den Kuchen schmecken – und einen schönen Abend noch.«
Damit verschwand sie und zog die Haustür hinter sich zu.
»Was für eine merkwürdige …«, begann Cordelia, doch ihr Vater legte den Finger auf die Lippen. »Schsch.«
»Was?«
»Wenn man sich von jemandem verabschiedet hat, wartet man immer zehn Sekunden, bevor man über ihn spricht.« Er fing an zu zählen: »Eins … zwei … los.«
»Was für eine schräge Spinatwachtel«, stellte Brendan fest und trat neben sie. Dr. Walker seufzte ergeben, als er sich eingestehen musste, dass sein Erziehungsversuch gründlich fehlgeschlagen war. »Ich wette, sie ist kein bisschen krank. Und diesen Kuchen solltet ihr lieber gleich wegschmeißen. Eindeutig Anthrax-Alarm.«
»Darin muss ich dir ausnahmsweise recht geben«, stimmte Dr. Walker zu und kippte den Kuchen in den Mülleimer.
»Hört endlich auf!«, protestierte Cordelia. »Ihr seid echt unfair. Vielleicht ist sie einfach nur senil. Jedenfalls kann sie nicht Denver Kristoffs Tochter sein. Wann hat er dieses Haus gebaut … Bren?«
Ihr Bruder dachte nur kurz nach. »1907.«
»Richtig, wie alt müsste sie dann sein … ungefähr hundert?«
»Wenn sie hier geboren ist, müsste sie mindestens hundertsechs sein. Und ihr wisst nicht, wie sie aussieht, bevor sie geduscht und ihr Zahnweiß benutzt hat!« Brendan fragte sich, wie er in diesem Haus jemals ruhig schlafen sollte. Den Lacrosse-Schläger konnte man vergessen – was er brauchte, war ein Flammenwerfer.
»Ein bisschen unheimlich war sie schon«, bestätigte Mrs Walker. »Der Gedanke, dass sie früher hier gelebt hat, gefällt mir nicht.«
»Keine Sorge, das wird sich schon alles finden.« Dr. Walker legte seinen Arm um sie. »Jetzt freuen wir uns erst mal, dass wir den Umzug hinter uns haben, und essen etwas.« Er gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange.
»Wer hat Lust, unseren neuen Pizzaservice auszuprobieren?«, fragte Mrs Walker. »Er heißt Pino’s.« Sie durchsuchte bereits ihr Handy nach der Telefonnummer. »Die sollen hervorragend sein.«
»Ich gehe nach oben«, verkündete Cordelia und im Vorbeigehen flüsterte sie Brendan zu: »… und versuche, ein bisschen mehr über Dahlia Kristoff herauszufinden.«
»Ich komme mit«, flüsterte Brendan zurück, über sich selbst überrascht. Wann hatte er das letzte Mal freiwillig mit seiner Schwester zusammengearbeitet?
»Ich fürchte, du musst dich erst aus deinem Hausarrest herausreden«, sagte Cordelia und ließ ihren Bruder stehen … unter den strengen Blicken seiner Eltern, die ein ernstes Gespräch mit ihm führen wollten: über das Bedrohen anderer Menschen mit Waffen.
Oben auf der Galerie nahm Cordelia eines der gerahmten Fotos von der Wand: das verblasste Porträt der ältlichen Frau mit dem Baby auf dem Arm, von der Diane Dobson behauptet hatte, sie sei Denver Kristoffs Mutter. Mithilfe einer Nagelfeile machte Cordelia sich vorsichtig daran, den Rahmen von hinten zu öffnen. Helen K. m. Dahlia K./Mutters 70., Alamo Square, 1908, las sie auf der Rückseite, vermutlich war es sogar Denver Kristoffs Handschrift.
Cordelia betrachtete nachdenklich das Baby auf dem Foto: die kleine Dahlia Kristoff. In ihren Augen lag derselbe stechende Blick …
»Cordelia!« Sie hätte vor Schreck beinahe das Foto fallen lassen. Doch es war nur ihre Mutter, die von unten rief: »Die Pizza ist da!«
Mit zitternden Händen puzzelte Cordelia das Foto zurück in den Rahmen. Bis sie es geschafft hatte, war ihre Pizza kalt geworden. Die anderen hockten im Kreis auf dem Wohnzimmerfußboden und verspeisten genüsslich eine Pepperoni-Pizza mit den Händen direkt aus der Packung. Dr. Walker hatte den Fernseher angeschlossen und einen Slapstick-Film runtergeladen: Die Marx Brothers im Krieg .
»Schon wieder? Immer nur diese ollen Marx Brothers!«, maulte Eleanor. »Können wir nicht mal was in Farbe angucken? Mit Menschen, die noch leben?«
»Das ist Familientradition«, erklärte Dr. Walker. Und er hatte recht: Immer wenn es in der Familie etwas zu feiern gab, schauten sie gemeinsam einen alten Marx-Brothers-Klassiker.
Während der Vorspann über den Bildschirm
Weitere Kostenlose Bücher